Dobrindts Blockade: Parteitaktik vor Verfassungsschutz – AfD Verbotsantrag für ihn keine Option
- Richard Krauss

- 25. Aug.
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Die Debatte um ein mögliches Verbot der AfD hat durch ein Gutachten des Kölner Staatsrechtlers Markus Ogorek neue Bedeutung erlangt.
Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre sowie Leiter der Forschungsstelle Nachrichtendienste, legt darin dar, dass die rechtlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot nach Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz in greifbare Nähe rücken könnten.

Er empfiehlt, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, die schon jetzt einen vollständigen Antragsentwurf vorbereitet. Damit stünde im Falle einer verwaltungsgerichtlichen Bestätigung der Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz ein entscheidungsreifes Dokument bereit. Ohne solche Vorarbeiten drohe ein erheblicher Zeitverlust.
Das Parteienverbot ist das schärfste Instrument der wehrhaften Demokratie. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde es nur zweimal angewandt – 1952 gegen die SRP, 1956 gegen die KPD. Spätere Versuche scheiterten: 2003 wegen nicht auszuräumender V-Leute-Verbindungen in der NPD-Führung, 2017, weil die NPD zwar verfassungsfeindliche Ziele verfolgte, aber keine realistische Chance hatte, diese durchzusetzen.
Dieses Kriterium der „Potentialität“ gilt seither als entscheidende Hürde: Eine Partei ist nur dann zu verbieten, wenn sie nicht nur antidemokratische Ziele verfolgt, sondern auch in der Lage ist, sie tatsächlich zu verwirklichen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD im Mai 2025 als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Grundlage waren 829 Belege aus Reden, Beschlüssen und öffentlichen Stellungnahmen, von denen Ogorek rund zwei Drittel als rechtlich relevant einordnet. Im Zentrum steht die Verletzung der Menschenwürde durch rassistische und ethnonationalistische Positionierungen.
Die AfD verweist auf die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit. Ogorek stellt klar, dass auch geschützte Äußerungen verbotsrelevant sein können, wenn sie Teil einer Strategie sind, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen.
Die FDGO umfasst zentrale Prinzipien wie Menschenwürde, Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Mehrparteienprinzip. Angriffe auf nur eines dieser Elemente können ausreichen, um ein Parteiverbot zu rechtfertigen.
Der Streit entzündet sich vor allem an der Frage, ob die AfD über die notwendige Potentialität verfügt. Dafür spricht ihre parlamentarische Verankerung, ihre Präsenz in allen Landtagen, im Bundestag und im Europäischen Parlament sowie ihre Beteiligung an einer Landesregierung. Dagegen spricht ihre bislang fehlende Koalitionsfähigkeit im Bund und in weiten Teilen der westdeutschen Länder.
Die Beweislage stellt eine weitere Herausforderung dar. Nach den Erfahrungen des gescheiterten NPD-Verfahrens 2003 ist ein quellenfreier Nachweis erforderlich, das heißt Belege, die nicht durch V-Leute beeinflusst sind.
Ogoreks Gutachten deutet darauf hin, dass die Belege des Verfassungsschutzes diese Anforderung erfüllen könnten, da sie überwiegend aus offenen Quellen stammen.
Innenminister Alexander Dobrindt hat sich bislang skeptisch gegenüber einem Verbotsverfahren geäußert. Er verwies mehrfach darauf, dass die Belege des Bundesamts für Verfassungsschutz seiner Ansicht nach nicht ausreichen würden, um ein Parteiverbot zu tragen. Kritiker werfen ihm vor, mit dieser Zurückhaltung auch parteipolitische Erwägungen zu verbinden.
Ein Verbot der AfD könnte das Kräfteverhältnis im rechten Lager verschieben und Mehrheitsoptionen für die Union verändern. Offiziell weist Dobrindt solche Motive zurück, die Debatte über mögliche parteitaktische Beweggründe begleitet die Diskussion jedoch seit Wochen.
Seit 2017 besteht mit Artikel 21 Absatz 3 GG zudem die Möglichkeit, eine verfassungsfeindliche Partei von der staatlichen Finanzierung auszuschließen. Anders als beim Verbot ist hierfür kein Potentialitätsnachweis erforderlich.
Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Instrument 2024 erstmals angewandt und die Kleinstpartei „Die Heimat“ für sechs Jahre von staatlichen Mitteln ausgeschlossen. Für die AfD wäre dieser Schritt ein mögliches Zwischeninstrument.
Auch die europäische Ebene setzt Maßstäbe. Nach Artikel 11 EMRK darf die Vereinigungsfreiheit nur eingeschränkt werden, wenn dies in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Parteiverbote in Fällen gebilligt, in denen Parteien offen antidemokratische oder gewaltorientierte Ziele verfolgten.
Ein AfD-Verbot müsste daher klar belegen, dass es um den Schutz der demokratischen Ordnung geht, nicht um politische Opportunität.
Ein Parteiverbot ist ein juristisches Verfahren, doch es entfaltet politische Wirkung. Ein gescheiterter Antrag könnte der AfD eine Opferrolle verschaffen, während ein erfolgreiches Verbot das Parteiensystem nachhaltig verändern würde.
Die verfassungsrechtliche Diskussion bewegt sich deshalb im Spannungsfeld von rechtlichen Anforderungen, politischer Taktik und gesellschaftlicher Verantwortung. Ogoreks Gutachten verlagert die Diskussion auf die Ebene der praktischen Vorbereitung: Die rechtlichen Instrumente liegen bereit, die Frage ist, ob und wann sie zum Einsatz kommen.



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