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Transatlantischer Bruch - Europas strategische Illusion und die neue US-Sicherheitsdoktrin

  • Autorenbild: Richard Krauss
    Richard Krauss
  • vor 2 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Die Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten vom November 2025 verändert das Verhältnis zwischen den USA und der Europäischen Union grundlegend. Die EU wird darin nicht mehr als sicherheitspolitischer Partner, sondern als Akteur beschrieben, dessen Regulierung, Industriepolitik und politische Zielsetzungen amerikanischen Interessen entgegenstehen. Diese Einordnung unterscheidet sich deutlich von früheren US-Strategiedokumenten.


Zeitgleich intensivieren die USA ihre diplomatischen Bemühungen, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Dabei wird die militärische und finanzielle Unterstützung Kyjiws zunehmend an Erwartungen geknüpft, die auf einen Kompromiss mit Russland hinauslaufen. Diese Entwicklung betrifft zentrale Sicherheitsinteressen der EU.


Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten reagieren bislang überwiegend zurückhaltend. Öffentliche Konfrontationen mit Washington bleiben aus. Stattdessen wird an Gesprächen und informellen Vermittlungsformaten festgehalten. Diese Linie steht im Kontrast zur in der NSS formulierten Neubewertung Europas.


Eine öffentliche Stellungnahme aus Moskau verdeutlicht die Verschiebung. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, die in der US-Strategie erkennbaren Anpassungen entsprächen russischen Vorstellungen zur internationalen Ordnung. Die Aussage wurde von mehreren internationalen Medien dokumentiert. Der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt kommentierte, dies fasse die Lage zusammen.


Inhaltlich benennt die NSS mehrere Konfliktfelder. Ein Schwerpunkt liegt auf der Regulierung amerikanischer Technologieunternehmen durch die EU. Wettbewerbspolitik, Datenschutz und Digitalgesetze werden als wirtschaftliche Risiken für die USA dargestellt. Der Konflikt wird in der Strategie nicht als handelspolitische Differenz, sondern als sicherheitsrelevantes Problem beschrieben. Analysen der Financial Times verweisen auf den engen Schulterschluss der US-Regierung mit wirtschaftlichen Akteuren aus dem Technologiesektor.


Ein weiterer Punkt betrifft politische Entwicklungen innerhalb Europas. Die Strategie spricht von der Unterstützung politischen Widerstands gegen etablierte Institutionen. Konkrete Maßnahmen werden nicht benannt. Politikwissenschaftliche Einordnungen sehen darin eine politische Positionierung zugunsten euroskeptischer Bewegungen. Der frühere EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach in diesem Zusammenhang von einer politischen Konfrontation mit der Europäischen Union.


Der zentrale sicherheitspolitische Aspekt der Strategie betrifft die Ukraine. Die Beendigung des Krieges wird als vorrangiges Ziel der US-Politik definiert. Gleichzeitig wird der Begriff der „strategischen Stabilisierung“ der Beziehungen zu Russland eingeführt. Die Strategie enthält keine Zusicherung, dass die territoriale Integrität der Ukraine Voraussetzung dieser Stabilisierung ist.


Mehrere Medienberichte belegen, dass die US-Regierung ihre Unterstützung für Kyjiw zunehmend mit der Erwartung verbindet, Verhandlungen über territoriale Fragen zu führen. Offizielle Forderungen nach Grenzänderungen liegen nicht vor. Der politische Druck erfolgt über diplomatische Kanäle und Konditionalitäten.


In der sicherheitspolitischen Analyse wird diese Linie als Abkehr von einer normbasierten Ordnung eingeordnet. Völkerrechtliche Prinzipien treten hinter machtpolitische Stabilitätsüberlegungen zurück. Diese Verschiebung wird in Fachbeiträgen in Foreign Affairs, Foreign Policy und durch den European Council on Foreign Relations dokumentiert.

Innerhalb der USA wird die Nationale Sicherheitsstrategie kritisch diskutiert. Kori Schake vom American Enterprise Institute verweist auf innere Widersprüche des Dokuments. Michael Kimmage weist darauf hin, dass strategische Papiere nicht automatisch politisches Handeln determinieren. Zugleich gilt die NSS als maßgeblicher Referenzrahmen für Entscheidungen der Exekutive.


Für Europa ergibt sich daraus eine veränderte Ausgangslage. Die USA definieren ihre Sicherheitsinteressen zunehmend unabhängig von europäischen Positionen. Die Unterstützung der Ukraine wird in Washington nicht mehr als Teil einer gemeinsamen strategischen Linie verstanden. Die europäische Sicherheitspolitik steht damit vor der Aufgabe, ihre Abhängigkeit von amerikanischen Entscheidungen neu zu bewerten.

Die Nationale Sicherheitsstrategie 2025 dokumentiert diese Verschiebung. Sie stellt keinen Einzelfall dar, sondern eine formalisierte Festlegung. Die politischen Konsequenzen betreffen die EU in Fragen der Verteidigung, der Ukraine-Politik und der strategischen Eigenständigkeit.


Für Deutschland ergibt sich aus der US-Sicherheitsstrategie 2025 eine veränderte strategische Ausgangslage. Zentrale Annahmen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik – insbesondere die Verlässlichkeit der USA als führender Ordnungsmacht in Europa – sind nicht mehr belastbar. Washington koppelt seine Sicherheitszusagen zunehmend an eigene machtpolitische Prioritäten und trennt diese ausdrücklich von europäischen Interessenlagen.

Unmittelbar betrifft dies die deutsche Ukraine-Politik. Die militärische, finanzielle und politische Unterstützung Kyjiws wird von den USA nicht länger als gemeinsames strategisches Projekt verstanden. Damit wächst für Deutschland das Risiko, zwischen amerikanischem Druck auf Verhandlungen und europäischen Sicherheitsinteressen zu stehen, ohne sich auf eine koordinierende Führungsrolle Washingtons verlassen zu können.

Auch für die NATO-Politik hat dies Folgen. Die Beistandszusage bleibt formal bestehen, ihre politische Unterfütterung jedoch wird selektiver. Für Deutschland bedeutet das, dass Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung nicht mehr primär als Beitrag zu einer transatlantischen Arbeitsteilung betrachtet werden können, sondern als eigenständige sicherheitspolitische Notwendigkeit.


Hinzu kommen wirtschafts- und technologiepolitische Auswirkungen. Die US-Strategie stellt europäische Regulierung offen in einen sicherheitspolitischen Zusammenhang. Als zentraler Industriestandort ist Deutschland davon direkt betroffen, etwa in den Bereichen Digitalisierung, Wettbewerbspolitik und Industriekooperation. Konflikte mit Washington sind damit nicht mehr Ausnahme, sondern strukturell angelegt.


Die Nationale Sicherheitsstrategie der USA zwingt Deutschland folglich zu einer Neubestimmung seiner außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit. Nicht als abstraktes Zukunftsprojekt, sondern als operative Frage der Gegenwart.

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