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Palantir Mission Creep - Generalverdacht per Algorithmus: Dobrindts Angriff auf das Grundgesetz und die geltende Rechtsprechung

  • Autorenbild: Richard Krauss
    Richard Krauss
  • 30. Juli
  • 11 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 31. Juli

aktualisiert am 31.07.2025 - 15:13


Das Bundesinnenministerium plant den bundesweiten Einsatz von Palantir-Software. Diese Absicht führt zu einer grundsätzlichen Debatte über die Reichweite staatlicher Überwachung und die Einhaltung verfassungsrechtlicher Prinzipien. Eine Auseinandersetzung mit dieser Technologie und ihren Implikationen ist unverzichtbar. Es geht um die Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.


Die Diskussion um Palantir und deren Derivate, wie das bayerische „VeRa“ oder das hessische „HessenDATA“, stellt eine wesentliche Herausforderung für den deutschen Rechtsstaat dar. Sie wirft Fragen zur informationellen Selbstbestimmung und zur Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns auf.


Befürworter des Einsatzes dieser Software, insbesondere im Bundesinnenministerium und in Teilen der Sicherheitspolitik, argumentieren mit der Notwendigkeit einer besseren Kriminalitätsbekämpfung und Terrorismusabwehr. Komplexe Bedrohungslagen erforderten leistungsfähige Werkzeuge, um digitale Netzwerke zu erkennen und Gefahren zu verhindern. Dieses Argument steht im Raum.


Palantir-Systeme ermöglichen eine umfassende, automatisierte Verknüpfung von Daten. Diese Daten stammen aus unterschiedlichen Quellen:

Polizeiliche Ermittlungsakten, Vorstrafenregister, Personenstandsdaten sowie öffentlich zugängliche Informationen. Ziel ist es, in kurzer Zeit umfassende Personenprofile zu erstellen. Diese Profile umfassen nicht nur Verdächtige, sondern auch Zeugen, Opfer und eine hohe Zahl unbeteiligter Bürger, deren Daten in polizeilichen Systemen enthalten sind.


Dies stellt keine gezielte Ermittlung dar. Es ist eine Erfassung von Daten im großen Stil.


Das Grundgesetz legt fest, dass jeder staatliche Eingriff in Grundrechte eine gesetzliche Grundlage benötigt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss. Im Bereich der präventiven Polizeiarbeit ist das Verdachtsprinzip ein zentrales Element.


Die Polizei darf grundsätzlich nur dann ermitteln und Daten verarbeiten, wenn ein konkreter, begründeter Verdacht gegen eine Person vorliegt. Palantir-Systeme arbeiten hier anders.

Die Software ist für die Suche nach Mustern in großen, unstrukturierten Datenmengen konzipiert, ohne dass ein konkreter Verdacht gegen eine spezifische Person vorliegen muss. Sie kann Hinweise oder Risikoprofile generieren, die auf statistischen Korrelationen basieren. Dies führt dazu, dass Bürger potenziell zum Überwachungsobjekt werden können, allein durch die Verknüpfung ihrer Daten mit anderen Datensätzen.


Diese Arbeitsweise führt zu einem Generalverdacht, der mit den Prinzipien einer freien Gesellschaft unvereinbar ist.


Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen, zuletzt 2023 zu Polizeigesetzen in Hessen und Hamburg, Anforderungen an die automatisierte Datenauswertung gestellt.


Es hat klargestellt, dass eine solche umfassende Datenauswertung ohne konkreten Verdacht verfassungswidrig sein kann. Das Gericht forderte präzise Eingriffsschwellen, Transparenz der Algorithmen und wirksame Kontrollmechanismen.


Die Umsetzung dieser Vorgaben in den Ländern, die Palantir bereits nutzen, und die Pläne des Bundesinnenministeriums sind Gegenstand kritischer Betrachtung.

Ein wesentliches Problem der Palantir-Software ist deren Intransparenz. Die genaue Funktionsweise der Algorithmen ist nicht öffentlich. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Software zu ihren Ergebnissen kommt, welche Daten sie priorisiert und welche Verknüpfungen sie herstellt.


Diese mangelnde Transparenz behindert die gerichtliche Kontrolle von Maßnahmen. Sie erschwert es Betroffenen, ihre Rechte, wie das Recht auf Auskunft, Berichtigung oder Löschung von Daten, effektiv wahrzunehmen.


Fehler in Daten oder Algorithmen können Auswirkungen auf Einzelpersonen haben, ohne dass eine effektive Korrektur möglich ist.


Hinzu kommt die Abhängigkeit von einem US-amerikanischen Unternehmen. Palantir unterhält Verbindungen zu US-Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden. Dies wirft Fragen bezüglich der digitalen Souveränität Deutschlands auf und beinhaltet Risiken eines Datenabflusses oder Zugriffs durch ausländische Stellen.

Die Entwicklung staatlicher Überwachungsinstrumente zeigt eine Tendenz zur Zweckentfremdung. Ein Beispiel sind die Mautbrücken an deutschen Autobahnen:


Ursprünglich zur Erfassung der LKW-Maut gedacht, werden sie heute auch zur automatisierten Kennzeichenerfassung im Rahmen der Schleierfahndung genutzt. Was als spezifische Maßnahme für einen spezifischen Zweck eingeführt wurde, wurde zu einem Instrument der anlasslosen Massenüberwachung ausgebaut.


Die Befürchtung besteht, dass Palantir einen ähnlichen Weg gehen könnte. Ein System, das heute zur Terrorismusbekämpfung eingeführt wird, könnte in Zukunft für weitere Delikte oder eine allgemeine Verhaltens- und Gesinnungskontrolle eingesetzt werden (siehe USA) .


Der Wunsch staatlicher Stellen nach Handlungsfähigkeit darf nicht zu einer Aushöhlung von Grundrechten führen. Hier besteht die Sorge, dass eine einmal begonnene Entwicklung einer umfassenden Datenanalyse zu einem dauerhaften Zustand werden könnte, der die Freiheit des Einzelnen einschränkt.


Das Bundesverfassungsgericht dient als Wächter der Verfassung. Es setzt Grenzen, wenn Gesetzgebung oder Exekutive Grundrechte unangemessen berühren. Die anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen den Palantir-Einsatz in Bayern und Nordrhein-Westfalen sind ein relevanter Prüfstand. Es bleibt abzuwarten, ob Karlsruhe erneut klare Grenzen aufzeigt und die Politik an die verfassungsrechtlichen Vorgaben erinnert.


Wenn ein Ministerium Maßnahmen plant, die mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kollidieren, agiert es im Konflikt mit der obersten Norm.


Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind für alle Staatsorgane bindend. Das Handeln eines Ministeriums, das solche Pläne vorantreibt, kann als Versuch gewertet werden, die Vorgaben des Verfassungsgerichts zu umgehen oder an deren Grenzen zu gehen.


Dies ist nicht nur rechtlich problematisch, sondern kann auch das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen untergraben. Es besteht die Gefahr, dass die Gewaltenteilung missachtet wird, da die Judikative bereits klare Vorgaben gemacht hat, die von der Exekutive offenbar nicht vollständig respektiert werden. Ein solches Vorgehen birgt das Risiko einer Erosion rechtsstaatlicher Prinzipien.


Der Schutz der Grundrechte ist nicht allein Sache des Verfassungsgerichts. Es ist eine Aufgabe für jeden Bürger, zivilgesellschaftliche Organisationen und die Medien, wachsam zu bleiben. Die rechtlichen Möglichkeiten zur Gegenwehr umfassen:


  • Verfassungsbeschwerde: Eine Maßnahme für Bürger, deren Grundrechte durch staatliches Handeln verletzt sind.


  • Klagen vor den Verwaltungsgerichten: Gegen konkrete polizeiliche Maßnahmen, die auf der Nutzung solcher Software basieren, kann gerichtlich vorgegangen werden.


  • Datenschutzrechtliche Beschwerden: Bei Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) können Beschwerden bei den Landesdatenschutzbeauftragten eingereicht werden.


  • Politische Einflussnahme: Petitionen, öffentliche Proteste und eine kritische öffentliche Debatte sind Instrumente, um Druck aufzubauen und die Gesetzgebung zu beeinflussen.


Die freiheitlich-demokratische Grundordnung erfordert eine stetige Verteidigung. Die Diskussion um Palantir ist ein Beispiel dafür. Es geht nicht darum, der Polizei notwendige Ermittlungswerkzeuge zu verweigern. Es geht darum, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der der Generalverdacht die Regel ist und die Unschuld bewiesen werden muss, oder in einem Staat, der die individuellen Freiheiten schützt und staatliche Eingriffe auf das notwendige Maß beschränkt.


Das Bundesinnenministerium muss sich mit den verfassungsrechtlichen Bedenken auseinandersetzen. Eine Begründung des Einsatzes mit "mehr Sicherheit" darf nicht als Vorwand dienen, die Grundrechte auszuhöhlen und eine umfassende Überwachung der Bürger zu etablieren.


Eine effektive Kriminalitätsbekämpfung basiert auf ausreichendem Personal, dessen guter Ausbildung und einer klugen, verhältnismäßigen Strategie. Eine intransparente Software, die das Vertrauen der Bürger in ihren Staat mindert, trägt dazu nicht bei.


Der Einsatz von Palantir stellt keinen Fortschritt für die Sicherheit dar, wenn er die Freiheit des Einzelnen beeinträchtigt. Das Grundgesetz und die FDGO sind die Grundlage – und sie setzen diesem Weg Grenzen. Bleibt wieder einmal die Frae cui bon, wem zum Nutzen.


Faktencheck: Palantir und die Herausforderung des Rechtsstaats


Die Debatte um den geplanten bundesweiten Einsatz von Palantir-Software durch das Bundesinnenministerium berührt zentrale Aspekte des deutschen Rechtsstaats. Eine genaue Prüfung der Faktenlage und der verfassungsrechtlichen Einordnung ist unerlässlich, um die Tragweite dieser Entwicklung zu verstehen.


1. Palantir und seine Software-Derivate:


Palantir Technologies ist ein US-amerikanisches Softwareunternehmen, das sich auf Big-Data-Analyse spezialisiert hat. Die bekanntesten Produkte sind Palantir Gotham und Palantir Foundry. Gotham wird primär von Regierungs-, Geheimdienst- und Strafverfolgungsbehörden genutzt, um Daten zu verknüpfen, zu analysieren und zu visualisieren. Foundry richtet sich an Unternehmen zur Datenintegration und -analyse in Geschäftsbereichen.

Quelle: Palantir Technologies (Referenz zu Gotham und Foundry als Kernprodukte mit Kundenbeispielen)


2. Einsatz in deutschen Bundesländern:


Die Palantir-Software ist in mehreren deutschen Bundesländern bei Polizeibehörden im Einsatz. Hessen nutzt das System "HessenDATA" auf Basis von Palantir Gotham seit 2017. In Bayern wird die Software "VeRa" (ebenfalls Palantir-basiert) seit März 2023 im Testbetrieb und seit 2024 produktiv genutzt. Nordrhein-Westfalen setzt Palantir seit 2020 ein. In Baden-Württemberg hat das CDU-geführte Innenministerium einen Vertrag über Palantir Gotham abgeschlossen, was zu einem Koalitionsstreit führte, da die gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz noch geschaffen werden müssen.


Quelle: Polizei in Baden-Württemberg soll Palantir-Software nutzen dürfen - Beck.de (zu BW, Bayern, Hessen, NRW)

Quelle: Hessendata - Atlas der Automatisierung (zu Hessendata und Palantir Gotham)

Quelle: Automatisierte Polizeidatenanalyse: Bayern testet rechtswidrig Palantir-Software - netzpolitik.org (zu VeRa in Bayern)


3. Verfassungsrechtliche Einordnung und Bundesverfassungsgericht (BVerfG):


Der Einsatz von Software zur automatisierten Datenauswertung berührt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat am 16. Februar 2023 entschieden, dass die Regelungen zur automatisierten Datenauswertung durch die Polizei in den Polizeigesetzen von Hessen und Hamburg verfassungswidrig sind. Das Gericht forderte engere Grenzen für solche Maßnahmen, insbesondere das Erfordernis eines konkretisierten Verdachts bei schwerwiegenden Eingriffen, Transparenz der Algorithmen und wirksame Kontrollmechanismen. Das Gericht betonte, dass die Verarbeitung gespeicherter Daten mittels automatisierter Analyse einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung darstellt und bei schwerwiegenden Eingriffen nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter wie Leben, Leib oder Freiheit zulässig ist.

Quelle: Legislation in Hesse and Hamburg regarding automated data analysis for the prevention of criminal acts is unconstitutional - Bundesverfassungsgericht (Pressemitteilung Nr. 18/2023 vom 16. Februar 2023)


4. Verfassungsbeschwerden gegen Palantir:


Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat Verfassungsbeschwerde gegen die bayerischen Regelungen zum Einsatz von Palantir eingelegt. Die GFF kritisiert, dass Bayern die Vorgaben des BVerfG nicht einhalte, insbesondere fehlten wirksame Kontrollen und ein Schutz vor Softwarefehlern. Die Juristin Franziska Görlitz von der GFF betonte, dass schon unbeteiligte Personen in den Fokus der Software geraten könnten. Der Chaos Computer Club (CCC) unterstützt diese Kritik und warnt vor einer massenhaften Überwachung durch intransparente Software, die eine Abhängigkeit von US-Konzernen schaffe.

Quelle: GFF erhebt Verfassungsbeschwerde gegen Bayerns Regeln für Polizei-Software von Palantir - Beck.de (zu GFF-Klage)

Quelle: CCC | Blackbox Palantir - Chaos Computer Club (zu CCC-Kritik an Bayern)


5. Anlasslose Kfz-Kennzeichenerfassung:


Die anlasslose Erfassung von Kfz-Kennzeichen durch Kameras wurde vom Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen als verfassungswidrig eingestuft, wenn sie nicht auf einem konkreten Verdacht basiert und die Daten nicht unverzüglich gelöscht werden, falls kein Treffer vorliegt. Ein Urteil vom 11. März 2008 betonte, dass eine solche Erfassung einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. Diese Rechtsprechung ist ein Beispiel für die Tendenz des Gerichts, anlassloser Massenüberwachung Grenzen zu setzen.

Quelle: Urteil vom 11. März 2008 - Bundesverfassungsgericht - Entscheidung finden (zu Kfz-Kennzeichenerfassung)


6. Bedrohungsszenarien und deren Entwicklung:


Das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) weisen auf eine anhaltende Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus hin, insbesondere durch Ableger wie den ISKP (Islamischer Staat Provinz Khorasan), der zunehmend auch online zur Radikalisierung nutzt und Anschlagsplanungen in Deutschland aufdeckt. Zudem hat das Personenpotenzial im Rechtsextremismus laut Verfassungsschutzbericht 2024 (Stand Ende 2024) zugenommen, ebenso wie die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten. Die Cyberbedrohung in Deutschland bleibt laut BSI-Lagebericht 2024 weiterhin angespannt, mit zunehmender Professionalisierung von Cyberkriminellen und Risiken für kritische Infrastrukturen.

Quelle: Islamist terrorism - Der Generalbundesanwalt (zu islamistischem Terrorismus in Deutschland)

Quelle: Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Terrorismus - Bundesamt für Verfassungsschutz (zu Zahlen Rechtsextremismus 2024)

Quelle: BSI situation report 2024: Growing cyber threats - GINDAT GmbH (zu Cybersicherheit)


7. Gefahr der "Mission Creep" (Zweckentfremdung):


Die Befürchtung einer schleichenden Ausweitung der Überwachungsbefugnisse ist historisch belegt. Das Beispiel der Mautbrücken, die ursprünglich zur LKW-Mauterhebung dienten und später für die Kennzeichenerfassung in der Schleierfahndung genutzt wurden, illustriert die Tendenz zur "Mission Creep", bei der die anfänglichen Zwecke von Überwachungstechnologien schrittweise erweitert werden. Diese Sorge wird bei Palantir ebenfalls geäußert.

Quelle: Urteil vom 11. März 2008 - Bundesverfassungsgericht - Entscheidung finden (indirekte Bestätigung durch Thematisierung der Nutzung von Mautbrücken)


8. DSGVO und automatisierte Entscheidungen:


Artikel 22 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) setzt Grenzen für automatisierte Entscheidungen im Einzelfall, einschließlich Profiling, wenn diese rechtliche Wirkung entfalten oder Personen in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigen. Solche Entscheidungen sind nur unter strengen Voraussetzungen zulässig und erfordern angemessene Schutzmaßnahmen für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen. Dies erhöht die rechtlichen Anforderungen an den Einsatz von Systemen wie Palantir.

Quelle: Art. 22 DSGVO – Automatisierte Entscheidungen im Einzelfall einschließlich Profiling - dsgvo-gesetz.de





Tabelle: Positionen deutscher Parteien und Politiker zu Palantir


Partei / Organisation

Name / Position (Beispiel)

Kern-Stellungnahme zu Palantir (Zusammenfassung)

Begründung / Haltung

CDU/CSU

Nancy Faeser (BMI, ehem. SPD) / Alexander Dobrindt (CSU)

Befürworten den Einsatz zur Stärkung der Sicherheitsbehörden.

Sehen Palantir als unverzichtbares Werkzeug im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität. Betonen Effizienzgewinne und Notwendigkeit, technologisch nicht zurückzufallen.


Joachim Herrmann (CSU) / Bayerischer Innenminister

Befürworter von "VeRa" (Palantir-basiert) in Bayern.

"VeRa" sei entscheidend für moderne Polizeiarbeit. Betont die Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen nach bayerischem Polizeiaufgabengesetz.

SPD

Nancy Faeser (Bundesinnenministerin)

Befürwortet bundesweiten Einsatz zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden.

Argumentiert mit Notwendigkeit der Anpassung an digitale Kriminalität. Betont Bedarf an modernen Instrumenten für BKA und Bundespolizei.


Sebastian Fiedler (MdB, SPD-Innenexperte)

Kritische Haltung; Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Verhältnismäßigkeit.

Fordert klare gesetzliche Grenzen und Schutz der Grundrechte. Warnt vor "Fischen im Trüben" und Generalverdacht.

Bündnis 90/Die Grünen

Konstantin von Notz (MdB, Obmann Innenausschuss)

Lehnt umfassenden Palantir-Einsatz ab; fordert strikte verfassungsrechtliche Prüfung.

Kritisiert Intransparenz der Software, Gefahr des Generalverdachts und Eingriff in informationelle Selbstbestimmung. Verweisen auf BVerfG-Urteile.


Thomas Strobl (CDU, Innenminister BW), Grüne Koalitionspartner in BW

Kritik an Vertragsabschluss ohne Gesetz.

Grüner Koalitionspartner in BW forderte Stopp des Vertrags, da keine ausreichende gesetzliche Grundlage besteht und das BVerfG strenge Maßstäbe gesetzt hat.

FDP

Linda Teuteberg (FDP, ehem. MdB, innenpolitische Sprecherin)

Ambivalente Haltung: Einerseits offen für moderne Technik, andererseits Bedenken bezüglich Freiheitsrechten.

Fordert sorgfältige Abwägung zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Grundrechtsschutz. Betonung auf Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle.

AfD

Parteiposition (allgemein)

Befürwortet oft den Einsatz starker Überwachungstechnologien.

Fordert "mehr Sicherheit" und "härteres Vorgehen" gegen Kriminalität. Stellt Datenschutzbedenken oft hinten an.

Die Linke

Martina Renner (MdB, Innenpolitische Sprecherin)

Lehnt Palantir-Einsatz kategorisch ab.

Sieht darin eine massive Bedrohung für Grundrechte, einen Schritt zur Überwachung des Einzelnen und eine Verletzung des Verdachtsprinzips. Spricht von Kontrollverlust.

Zivilgesellschaft/Experten (Beispiele)

Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF)

Klagt gegen Palantir-Einsatz; sieht Verfassungsbruch.

Sieht Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Fordert Einhaltung der BVerfG-Vorgaben und warnt vor anlassloser Massenanalyse.


Chaos Computer Club (CCC)

Warnt vor "Blackbox"-Charakter und Generalverdacht.

Kritisiert Intransparenz, Abhängigkeit von US-Firmen und die Möglichkeit der anlasslosen Profilbildung.

Glossar:


Schlüsselbegriffe zur Palantir-Debatte


  • Algorithmus: 

    Eine präzise definierte Abfolge von Anweisungen zur Lösung eines Problems oder zur Durchführung einer Aufgabe. Im Kontext von Palantir bezeichnen Algorithmen die mathematischen Modelle und Regeln, nach denen die Software Daten analysiert, Muster erkennt und Vorhersagen trifft. Ihre Intransparenz ist ein zentraler Kritikpunkt.


  • Anlasslose Massenüberwachung:

     Die systematische Erfassung, Speicherung und Analyse von Daten einer Vielzahl von Personen ohne konkreten Verdacht gegen einzelne Individuen. Im Falle von Palantir besteht die Gefahr, dass die Software genau dies ermöglicht, indem sie große Datenmengen auf "auffällige" Muster durchsucht, selbst wenn kein initialer Verdacht vorliegt.


  • Blackbox-Charakter: 

    Bezeichnung für Softwaresysteme, deren interne Funktionsweise, insbesondere die genaue Logik ihrer Algorithmen, für Nutzer und Prüfinstanzen nicht transparent oder nachvollziehbar ist. Bei Palantir erschwert dies eine effektive Kontrolle und die Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Ergebnisse.


  • Bundesinnenministerium (BMI): Die oberste Bundesbehörde, die für die innere Sicherheit Deutschlands zuständig ist. Das BMI prüft den bundesweiten Einsatz von Palantir-Software für Polizei und Sicherheitsbehörden des Bundes, was die aktuelle Debatte ausgelöst hat.


  • Bundesverfassungsgericht (BVerfG): Das höchste Gericht der Bundesrepublik Deutschland, das über die Einhaltung des Grundgesetzes wacht. Seine Urteile, insbesondere zur automatisierten Datenauswertung durch die Polizei, setzen den rechtlichen Rahmen für den Einsatz von Technologien wie Palantir.


  • Chaos Computer Club (CCC): Eine der größten Hackervereinigungen Europas, die sich kritisch mit informationstechnologischen Entwicklungen auseinandersetzt und sich für Informationsfreiheit und Datenschutz engagiert. Der CCC ist ein prominenter Kritiker des Palantir-Einsatzes.


  • Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Eine Verordnung der Europäischen Union, die den Schutz personenbezogener Daten regelt. Sie legt strenge Anforderungen an die Verarbeitung von Daten fest und gewährt Betroffenen umfassende Rechte, deren Einhaltung beim Einsatz von Palantir kritisch beleuchtet wird.


  • Freiheitlich-Demokratische Grundordnung (FDGO): Die unantastbaren Kernprinzipien des deutschen Staates, die in Art. 20 Abs. 1-3 GG verankert sind. Dazu gehören unter anderem die Achtung der Menschenwürde, das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip. Eingriffe in die FDGO werden als Bedrohung für die Verfassung selbst betrachtet.


  • Generalverdacht der Bevölkerung: Der Zustand, in dem nicht nur konkrete Verdächtige, sondern die gesamte Bevölkerung oder große Teile davon prinzipiell als potenziell verdächtig behandelt und überwacht werden. Der Einsatz von Palantir-Systemen, die breite Datensätze analysieren, wird oft als Schritt in Richtung eines solchen Generalverdachts kritisiert.


  • Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF): Eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich durch strategische Prozessführung für die Stärkung der Grund- und Menschenrechte in Deutschland einsetzt. Die GFF hat Verfassungsbeschwerden gegen den Einsatz von Palantir in Bayern und anderen Bundesländern eingereicht.


  • Grundgesetz (GG): Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, die die grundlegenden Rechte der Bürger und die Struktur des Staates festlegt. Es ist der absolute Maßstab für die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns.


  • Informationelle Selbstbestimmung (Recht auf): Das in Deutschland aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht, selbst über die Preisgabe und Verwendung der eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen. Es ist das zentrale Grundrecht, das durch den Einsatz von Palantir als gefährdet angesehen wird.


  • Kalkulierter Verfassungsbruch: Der Vorwurf, dass staatliche Akteure bewusst oder in Kauf nehmend Handlungen planen oder ausführen, die nach der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder der herrschenden Rechtsauffassung die Verfassung verletzen. Im Kontext von Palantir wird dies geäußert, wenn Ministerialpläne scheinbar die klaren Vorgaben des BVerfG missachten.


  • Mission Creep: Ein Begriff, der die schleichende Ausweitung des anfänglichen Ziels oder Anwendungsbereichs einer Maßnahme oder Technologie beschreibt. Im Kontext der Überwachung bedeutet dies, dass Systeme, die für einen spezifischen Zweck eingeführt wurden (z.B. Terrorismusbekämpfung), schrittweise für immer breitere Anwendungsfelder genutzt werden (z.B. allgemeine Kriminalität). Die Mautbrücken-Analogie ist ein Beispiel hierfür.


  • Palantir Technologies: Das im US-Bundesstaat Colorado ansässige Softwareunternehmen, das die umstrittenen Datenanalyse-Plattformen Gotham und Foundry entwickelt. Namensgeber ist das "Palantír" aus J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe", ein sehender Stein zur Fernsicht, was die Kritik am Überwachungspotenzial der Software verstärkt.


  • Prädiktive Polizeiarbeit (Predictive Policing): Ein Ansatz, bei dem Datenanalyse und Algorithmen eingesetzt werden, um vorherzusagen, wann und wo Straftaten wahrscheinlich sind oder wer künftige Straftäter sein könnten. Palantir wird oft in diesem Kontext diskutiert, wobei die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser präventiven Ansätze stark umstritten ist.


  • Verhältnismäßigkeitsprinzip: Ein Kernprinzip des Rechtsstaats, das besagt, dass jede staatliche Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. Dies ist der zentrale Prüfstein für die Rechtmäßigkeit des Palantir-Einsatzes.


  • VeRa (Verfahrensübergreifende Recherche und Analyse): Der Name der Palantir-basierten Software, die in Bayern von der Polizei eingesetzt wird. "VeRa" ist Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde der GFF.


  • Verdachtsprinzip: Das rechtsstaatliche Prinzip, das besagt, dass Ermittlungsmaßnahmen und Eingriffe in die Grundrechte eines Bürgers nur zulässig sind, wenn ein konkreter, nachvollziehbarer Verdacht auf eine Straftat vorliegt. Der Einsatz von Palantir wird kritisiert, da er dieses Prinzip unterlaufen könnte.

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