Von Brosius-Gersdorf zu Kaufhold: Wie rechtsgerichteter Antifeminismus unabhängige Juristinnen delegitimiert
- Richard Krauss
- 16. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Nach der Nominierung von Ann-Katrin Kaufhold als SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht kam es zu gezielten Angriffen aus verschiedenen politischen und medialen Lagern.
Die Kritik konzentriert sich auf ihre wissenschaftlichen Positionen zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren, ihre juristische Arbeit zur Enteignung großer Wohnungskonzerne sowie ihre Haltung zur Rolle des Rechtsstaats bei Klimaschutz und Demokratieverteidigung.
Ein zentraler Angriffspunkt ist Kaufholds Haltung zu einem AfD-Verbot. In einem Interview mit dem „Verfassungsblog“ (3. März 2023) äußerte sie sich kritisch zur verbreiteten juristischen Zurückhaltung gegenüber einem Verbot: „Die Ängstlichkeit des Staates, selbst gefährliche Parteien im Rahmen geltender Regeln und rechtsstaatlicher Verfahren anzugreifen, ist ebenso problematisch.“
Diese Aussage wurde von AfD-nahen Akteuren und in sozialen Medien als indirekte Aufforderung zu einem Parteiverbot umgedeutet und als Beleg für ihre angebliche Parteilichkeit verwendet.
In einem Artikel der rechtsgerichteten „Jungen Freiheit“ (11. Juli 2025) wird Kaufhold als „AfD-Gegnerin, die über ihr richterliches Amt politische Gegner ausschalten will“, dargestellt. Auch das rechte Portal „NIUS“ titelte (10. Juli 2025): „KandidatInnen für das höchste Gericht: Linksaktivistinnen auf dem Weg nach Karlsruhe?“
Gegenstand der Kritik ist zudem Kaufholds juristische Mitwirkung in der von der damaligen Berliner Landesregierung eingesetzten Kommission zur Prüfung möglicher Vergesellschaftungen im Wohnungsmarkt. Diese Kommission begleitete das erfolgreiche Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
Kaufhold gehörte dem Gremium ab 2022 an und war als Verfassungsrechtlerin mit der Analyse der Umsetzbarkeit von Enteignungen nach Artikel 15 GG befasst. In Publikationen und Veranstaltungen (vgl. Veranstaltungen der Kommission vom Februar 2023 in Berlin) betonte sie mehrfach, dass es sich um eine juristische Prüfung handle, nicht um eine politische Positionierung.
In der politischen Debatte wird dies jedoch vielfach anders dargestellt. So hieß es bei der BILD (12. Juli 2025), mit Kaufhold solle jetzt „eine Enteignungsfreundin ins höchste Gericht gehoben werden“.
Darüber hinaus wurde ihre Beteiligung in der Redaktion des Sammelbandes „Demokratisch, aber nicht wehrlos: Parteienverbot revisited“ (Nomos Verlag, 2022) als weiterer Beleg dafür interpretiert, dass sie für eine „Abrechnung mit der AfD“ über den Rechtsweg stehe.
Der Band enthält Beiträge verschiedener Verfassungsrechtler:innen zu den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen eines Parteiverbots, eingebettet in juristische Fachdebatten.
Diese Angriffe folgen Mustern, die aus anderen rechtspopulistischen Kontexten bekannt sind – etwa aus dem Umfeld der MAGA-Bewegung in den USA. Wie dort werden demokratische Institutionen – wie Gerichte und Universitäten – als von einer „linken Elite“ kontrolliert dargestellt.
Die AfD twitterte am 11. Juli 2025: „SPD-Kandidatin Kaufhold will den politischen Gegner verbieten. Das ist keine Rechtsprechung, das ist Machtpolitik.“ Auch in Telegram-Kanälen und auf Plattformen wie Youtube finden sich seitdem vielfach Beiträge mit Titeln wie „Neue Richterin will euch verbieten“ (Beispiel: Kanal „Heimat & Recht“, 12. Juli 2025).
Charakteristisch ist das Opfer-Narrativ: Der Staat, die Justiz und die Wissenschaft würden durch linke Netzwerke gesteuert. Aus wissenschaftlich fundierten Positionen wird in der Kommunikation ein angeblicher Plan zur „Umgestaltung“ der Gesellschaft abgeleitet.
Parallelen zu rechtspopulistischen Strategien aus den USA werden hierbei deutlich: Wissenschaft und Institutionen werden delegitimiert, demokratische Verfahren als manipuliert dargestellt, die spaltende Kommunikation dient der Mobilisierung gegen vermeintliche Eliten.
Auch Teile der CDU/CSU greifen diese Narrative teilweise auf, wenn sie – offiziell mit Bezug auf „Ausgewogenheit“ – Bedenken gegen die Unabhängigkeit der Kandidatin äußern. In der „FAZ“ (10. Juli 2025) heißt es, Kaufhold sei „eine kluge Juristin, aber vielleicht nicht die richtige für eine Phase, in der Vertrauen in politische Neutralität besonders wichtig ist“.
Die Angriffe auf auf Ann-Katrin Kaufhold ein bekanntes Muster: Wissenschaftliche Positionen zu rechtlichen Grenzfragen wie Enteignung, Klimaschutz oder Parteienverbot werden selektiv aus dem Kontext gerissen.
Die Debatte wird emotionalisiert, der Diskurs polarisierend geführt, das Bild der „linken Justiz“ bedient – alles Strategien, die sich auch international in rechtspopulistischen Bewegungen wie MAGA beobachten lassen.
Quellenverzeichnis
Juristische und wissenschaftliche Publikationen
Interview mit Ann-Katrin Kaufhold zu Parteiverboten und demokratischer Wehrhaftigkeit im Verfassungsblog ("Demokratisch, aber nicht wehrlos", 03.03.2023).
Sammelband "Demokratisch, aber nicht wehrlos: Parteienverbot revisited", Nomos Verlag, 2022 (Mitwirkung Kaufhold, wissenschaftlicher Diskurs um Parteiverbote).
Berichte und Informationen zur Arbeit der Berliner Expertenkommission „Vergesellschaftung“ (2022/2023) und deren rechtliche Einordnung.
Medienberichterstattung: konservative und rechte Medien
Junge Freiheit: Bericht und Kommentar zur Nominierung Kaufhold ("AfD-Gegnerin will politische Gegner ausschalten", 11.07.2025).
NIUS: Artikel zu "Richterinnen mit linker Agenda?" (10.07.2025).
BILD: Artikel zur angeblichen „Enteignungsfreundin“ Kaufhold beim Bundesverfassungsgericht (12.07.2025).
Qualitätspresse und Hintergrundberichte
FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung): Kommentar zur politischen Bewertung von Kandidatinnen für das Bundesverfassungsgericht, insbesondere Kaufhold (10.07.2025).
Berichte und Analysen in der Berliner Zeitung und weiteren regionalen Tageszeitungen zur Debattenlage und medienpolitischen Einordnung (Juli 2025).
Parlamentsdebatte und offizielle Dokumente
Protokolle und Berichte des Deutschen Bundestages zur Kandidatenaufstellung und zur politisch-parlamentarischen Debatte um das Besetzungsverfahren am Bundesverfassungsgericht (Juli 2025).
Aussagen und Social Media der AfD sowie themennahe Kanäle
Offizielle Twitter/X-Posts der AfD zur Richterwahl und zu den Positionen von Ann-Katrin Kaufhold (z. B. am 11.07.2025).
Beiträge und Kommentare in politischen Social-Media-Kanälen („Heimat & Recht“, Telegram, Youtube, Juli 2025).
Glossar
AfD
Alternative für Deutschland – rechtsextremistischen Verdachtsfall (BfV) Partei, die in der aktuellen Debatte um die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts eine aktive Rolle spielt, insbesondere durch die politische und mediale Diskreditierung von SPD-Kandidatinnen wie Ann-Katrin Kaufhold.
Ann-Katrin Kaufhold
Professorin für Öffentliches Recht an der LMU München. Sie wurde 2025 von der SPD für einen Sitz im Bundesverfassungsgericht nominiert. Ihre Forschungsschwerpunkte reichen von Demokratietheorie über Parteienrecht bis zu Klimarecht und Vergesellschaftung.
Brosius-Gersdorf, Frauke
Verfassungsrechtlerin, erste SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2025. Ihre Wahl scheiterte nach öffentlichem Druck, unter anderem wegen falscher und unberechtigter Plagiatsvorwürfen und politischer Kritik an ihren Positionen.
Bundesverfassungsgericht
Oberstes Gericht Deutschlands für Verfassungsfragen. Seine Aufgabe ist der Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Es prüft u. a. Gesetze auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und entscheidet über Parteienverbote.
Elitenfeindlichkeit
Zentrale Strategie populistischer Bewegungen: Unterstellungen gegenüber Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Medienvertreter:innen, sie seien abgehoben, undemokratisch oder handelten gegen den "Volkswillen."
Faktencheck
Journalistisches Verfahren zur Überprüfung von Aussagen auf Richtigkeit und Belegbarkeit. Dient der Sicherstellung sachlicher Berichterstattung und öffentlicher Transparenz.
Glossar
Begriffserklärung im Anhang oder Begleittext zu einem umfangreichen Artikel oder Dossier. Dient der besseren Verständlichkeit zentraler Begriffe, die für die Einordnung einer Diskussion wichtig sind.
Junge Freiheit
Wöchentliche Zeitung aus dem Spektrum der Neuen Rechten. Nach politikwissenschaftlicher und journalistischer Analyse fungiert sie als publizistische Brücke zwischen Konservatismus und (intellektuellem) Rechtsextremismus.
Konservative Orchestrierung
Strategisch abgestimmte Zusammenarbeit konservativer Politiker:innen, Interessenvertreter:innen und Medien zur Beeinflussung öffentlicher Debatten – etwa durch Blockade von Personalvorschlägen oder wiederholte Narrative.
MAGA
US-amerikanische politische Parole („Make America Great Again“) und strategisches Raster einer rechtspopulistischen Bewegung (u. a. unter Donald Trump). Merkmale: Polarisierung, Elitenfeindlichkeit, mediale Kampagnen, Verschwörungserzählungen.
Mediale Kampagne
Koordinierte oder thematisch konsistente Berichterstattung, oft über mehrere Medien hinweg. Dient der Meinungslenkung, Delegitimierung von Personen oder Stärkung bestimmter Narrative.
Neue Rechte
Rechtsextremistisches Ideen- und Netzwerkspektrum rechts der klassischen konservativen Parteien. Ziel ist eine „kulturelle Hegemonie“ von rechts. Relevante Akteure nutzen intellektuelle Narrative zur Infragestellung liberaler Ordnungen.
Opfer-Narrativ
Rhetorik, in der eine politische Bewegung sich selbst als unterdrückt oder diskriminiert darstellt – oft verbunden mit dem Vorwurf an liberale Institutionen, sie unterdrückten Meinungs- oder Wahlfreiheit.
Parteienverbot
Regelung nach Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes. Eine Partei kann verboten werden, wenn sie darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen. Zuständig ist allein das Bundesverfassungsgericht.
Polarisierung
Strategie zur Schärfung gesellschaftlicher Gegensätze mit dem Ziel, Zustimmung auf einer Seite zu mobilisieren und politische Gegner zu delegitimieren. Zentrales Instrument populistischer Kommunikation.
Verschwörungserzählung
Weltdeutung, die gesellschaftliche Entwicklungen auf geheime, angeblich steuernde Mächte zurückführt. Häufiges Motiv in rechtspopulistischen und extremistischen Kontexten zur Delegitimierung demokratischer Institutionen.
Vergesellschaftung (Art. 15 GG)
Verfassungsrechtlicher Begriff für die Überleitung von privatem Eigentum in Gemeineigentum durch Gesetz. 2021–2023 juristisch diskutiert im Kontext des Berliner Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“.
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