CSD 2025 in Berlin - "Nie wieder still", ist ein Verfassungsbekenntnis
- Richard Krauss
- 25. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 25. Juli

aktualisiert am 25.07.2025 - 19:14 (danke Alicia fürs Korrektur lesen)
Am morgigen Samstag wird Berlin zur Bühne eines öffentlichen Verfassungsbekenntnisses: Der Christopher Street Day 2025 steht unter dem Motto „Nie wieder still“ – und meint damit nichts Geringeres als die selbstbewusste Inanspruchnahme jener Rechte, die das Grundgesetz garantiert, aber der Alltag zu oft verweigert.
Queeres Leben meldet sich nicht zu Wort. Es ist Wort. Es steht auf der Straße, sichtbar, angreifbar – und verlangt Geltung. Dort, wo der Staat sichtbar werden müsste, aber schweigt.
Während draußen Hunderttausende den öffentlichen Raum für sich beanspruchen, bleibt das Zentrum der Repräsentation stumm. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat untersagt, die Regenbogenflagge am Reichstagsgebäude zu hissen – mit Verweis auf „staatliche Neutralität“. Es ist eine jener Formeln, die Ordnung versprechen, aber Realität verweigern. Wer in Zeiten wiedererstarkender Queerfeindlichkeit Sichtbarkeit unterdrückt, führt keinen Rechtsstaat, sondern verwaltet Unsicherheit. Es ist eine Verweigerung – nicht von Symbolik, sondern von Schutz.
Dass ausgerechnet Friedrich Merz (CDU) den Bundestag zum „keinen Zirkus“ erklärt, ist kein semantischer Ausrutscher, sondern Programmsprache. Sie kodiert den Wunsch nach Disziplinierung: Sichtbarkeit wird als Störung gelesen, Pluralität als Überforderung. Julia Klöckners Begleitmusik zur CSD-Woche – Identitätspolitik als Gefahr – reiht sich nahtlos ein. Es ist nicht Ignoranz, es ist Absicht: Die Räume enger machen, die Bilder säubern, den Verfassungsauftrag minimieren.
Dass Hamburg dem etwas entgegensetzt, ist kein Zufall. Die Hansestadt beflaggt ihr Rathaus nicht demonstrativ, sondern konsequent. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) braucht kein Narrativ – er handelt. Die Regenbogenflagge dort ist kein moralischer Überhang, sondern eine institutionelle Konsequenz: Wer Artikel 1 bis 3 ernst nimmt, zeigt sie auch. Sichtbarkeit ist kein Angebot, sondern Pflicht.
Und Hamburg bleibt nicht bei sich. Als aktuelles Vorsitzland des Bundesrates hat es ermöglicht, dass erstmals auch am Berliner Bundesratsgebäude die Regenbogenflagge weht – nur einen Steinwurf vom Reichstag entfernt. Dass das Gremium der Länder handelt, während das Präsidium des Bundestags schweigt, ist keine politische Geste – es ist verfassungsrechtliche Klarheit in Aktion.
Hamburg hat initiiert, der Bundesrat hat umgesetzt – nicht als Zeichen politischer Haltung, sondern als Umsetzung eines verfassungsrechtlichen Solls.
Die Regenbogenflagge ist hier keine Geste. Sie ist Ausdruck eines republikanischen Grundprinzips. Wer sie hisst, bekennt sich nicht nur zu einer Szene, sondern auch ohne wenn und aber zur Durchsetzung der Grundrechte: Gleichheit, Freiheit, Unantastbarkeit der Würde – nicht als Symbolik, sondern als Institutionenauftrag.
Während sich das Parlamentsgebäude in Symbolverweigerung übt, reagiert der öffentliche Raum.
Die BVG hat die U-Bahnhaltestelle „Bundestag“ zum CSD in Regenbogenfarben gefasst. Ein Zeichen aus der Infrastruktur, das nicht fragt, ob es darf. Dort, wo Menschen ein- und aussteigen, wird sichtbar, was oben unsichtbar gehalten wird. Kein Etatbeschluss, kein Festakt – sondern: Realität. Die Farben unter dem Reichstag sagen mehr als jede Plenarrede: Wer Demokratie ernst nimmt, muss Flagge zeigen – bunt, vielfältig, queer.
Denn die Regenbogenflagge ist nicht nur Symbol einer Community – sie ist Bekenntnis und Sichtbarmachung des verfassungsrechtlichen Kerns dieser Republik. Artikel 1 bis 3, in Text gegossen, bleiben abstrakt.
Erst in Farbe, Raum und Handlung werden sie konkret. Wer die Flagge hisst, bekennt sich nicht zu einer Identität, sondern zur Verbindlichkeit von Gleichheit, Würde und Freiheit. In diesem Sinne ist die Prideflag keine Geste, sondern ein Bekenntnis zum Grundgesetz in Stoff. Wer sie verweigert, verweigert nicht Symbolik – sondern Verfassungswirkung.
Denn der CSD ist kein Dankesumzug. Er ist keine Einladung zur Anerkennung. Er ist eine verfassungslogische Intervention. Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Artikel 2: Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Artikel 3: Niemand darf wegen seines Geschlechts oder seiner sexuellen Identität benachteiligt werden. Diese Sätze sind keine Bitte – sie sind Anspruch. Und wer sich darauf beruft, verlangt nichts Zusätzliches. Er verlangt Geltung.
„Nie wieder still“ ist deshalb nicht nur Mottosatz, sondern ein klares und unmissverständliche Statement für Haltung. Die queere Community fordert nicht Einlass, sondern erinnert an Auftrag. Die Straße und auch die Beflaggung ist nicht Kulisse, sondern Prüfstein.
Dass Klöckner in diesem Jahr die Beflaggung verweigert, ist nicht beiläufig. Es ist kalkuliert. Ein Signal an alle, die sich wünschen, dass der Staat seine Stimme für Vielfalt nur dann erhebt, wenn es keine Konflikte erzeugt. Aber Demokratie ist kein Einrichtungsstil. Sie ist keine Unterschrift unter Befindlichkeiten. Sie ist Sprache. Und Sprache braucht Zeichen.
Gleichzeitig gilt: Nicht jede queere Stimme wird gleich gehört. Wer zusätzlich von Rassismus, Klassismus oder transfeindlicher Gewalt betroffen ist, erfährt die Grenzen verfassungsmäßiger Versprechen alltäglich. Der CSD darf deshalb keine Homogenität behaupten. Er muss Intersektionalität fordern – als Realität, nicht als rhetorische Kulisse. Denn Sichtbarkeit ohne Repräsentation ist Kosmetik. Und Gleichheit ohne strukturelle Sicherheit bleibt Illusion.
Am Samstag wird Berlin nicht nur bunt sondern klar und deutlich. Der CSD ist keine Einladung zur Toleranz, sondern ein Spiegel: Wer wird geschützt, wer wird gesehen, wem wird zugehört – und wer muss sich noch immer beweisen, dass er dazugehört?
Der Christopher Street Day ist kein Event. Er ist Erinnerung. Und Erinnerung ist widerständig. Hamburg hat geantwortet. Der Bundesrat hat geantwortet. Die BVG hat geantwortet.
Der Bundestag als Repräsentanz der Bürger*innen dieser Republik ist isoliert und und ihre Präsidentin hat dem obersten Organ der Legislative schweren Schaden zugefügt.
Aus diesem Grund wird die queere Community am morgigen CSD Berlin antworten - wie seit seit Jahrzehnten – entschlossen, vielstimmig, bunt und unaufhörlich. Und das ist gut so.
Comments