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Giftiger Hass: Antisemitismus in Deutschland – Ein Karzinom, das die Existenz und das Leben der jüdischen Gemeinschaft nicht erst seit gestern bedroht

  • Autorenbild: Richard Krauss
    Richard Krauss
  • 26. Juni 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Juli

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Layout aktualisiert am 30.7.2025


Wachsende Bedrohung für jüdisches Leben


Im Jahr 2023 wurden allein in Berlin 747 Verfahren mit antisemitischem Hintergrund eingeleitet. Dies stellt einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr dar und verdeutlicht, wie aktuell und bedrohlich das Problem des Antisemitismus in Deutschland ist. Besonders alarmierend ist, dass viele dieser Vorfälle mit geopolitischen Ereignissen wie dem Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 in Verbindung stehen. Diese Eskalation hat nicht nur Auswirkungen im Nahen Osten, sondern auch gravierende Folgen für das jüdische Leben in Deutschland.


Auswirkungen auf den Alltag jüdischer Menschen


Antisemitismus beeinträchtigt das Leben jüdischer Menschen auf vielfältige Weise. Viele sehen sich gezwungen, religiöse Symbole wie die Kippa oder den Davidstern zu verstecken, um nicht Ziel von Anfeindungen zu werden. Diese erzwungene Unsichtbarkeit verletzt nicht nur ihre Menschenrechte, sondern wirkt sich auch negativ auf die psychische Gesundheit aus. Studien zeigen, dass die ständige Bedrohung zu chronischem Stress, Depressionen und sogar posttraumatischen Belastungsstörungen führen kann.

Auch das Familienleben ist betroffen. Eltern müssen ihre Kinder frühzeitig auf Gefahren vorbereiten, ihnen Verhaltensregeln und Schutzmechanismen beibringen. Diese permanente Wachsamkeit verhindert eine unbeschwerte Kindheit. Freizeitaktivitäten, öffentliche Veranstaltungen oder das Feiern jüdischer Feiertage sind oft mit Sicherheitsbedenken und großem organisatorischem Aufwand verbunden.


Bildung, Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe


Im Bildungssystem sind jüdische Kinder und Jugendliche besonders gefährdet. Diskriminierung, Mobbing und antisemitische Äußerungen gehören für viele zum Schulalltag. Lehrerinnen und Lehrer sind oft unzureichend geschult, solche Vorfälle zu erkennen und angemessen zu reagieren. Im Berufsleben sieht es kaum besser aus: Offene oder subtile Diskriminierung, das Verschweigen der eigenen Herkunft aus Angst vor Nachteilen und begrenzte Aufstiegschancen sind für viele Realität.


Diese Erfahrung der Ausgrenzung führt langfristig zur Entfremdung von der Mehrheitsgesellschaft. Viele jüdische Menschen verlieren das Vertrauen in staatliche Institutionen und ziehen sich in selbstorganisierte Schutzräume zurück. Diese Tendenz zur gesellschaftlichen Isolation ist ein Warnsignal, das politische und gesellschaftliche Konsequenzen erfordert.


Politischer und gesellschaftlicher Kontext


Rechtsextreme Parteien und Gruppierungen wie die "Identitäre Bewegung" oder der "Flügel" innerhalb der AfD spielen eine zentrale Rolle in der Verbreitung antisemitischer Ideologien. Auch die sogenannte "Junge Alternative" verbreitet Positionen, die klar antisemitische Züge tragen. Diese Bewegungen bedienen sich des Ethnopluralismus, der eine homogene Bevölkerung fordert und Multikulturalismus als Bedrohung darstellt.

Darüber hinaus finden sich antisemitische Haltungen häufig auf pro-palästinensischen Demonstrationen oder in sozialen Netzwerken. Parolen wie "From the river to the sea, Palestine will be free" werden nicht selten von antisemitischen Angriffen begleitet. Auch antisemitische Verschwörungstheorien, etwa im Kontext der Corona-Pandemie oder des Ukraine-Kriegs, haben Konjunktur.

Antisemitismus in Institutionen


Justiz


Eine Studie der Humboldt-Universität zeigt, dass antisemitische Taten oft nicht als solche erkannt oder nur unzureichend verfolgt werden. Viele Vorfälle mit antisemitischem Hintergrund erscheinen nicht in den offiziellen Statistiken oder werden rechtlich nicht als solche anerkannt. Diese Blindstellen innerhalb der Justiz schwächen das Vertrauen in den Rechtsstaat und machen deutlich, dass rechtliche Rahmenbedingungen und die Sensibilisierung von Justizpersonal dringend überarbeitet werden müssen.


Sicherheitsbehörden


Auch innerhalb der Polizei und der Bundeswehr wurden zahlreiche rechtsextreme und antisemitische Vorfälle dokumentiert. Der Verfassungsschutzbericht von 2022 spricht von einer ernstzunehmenden Bedrohung durch rechtsextreme Umtriebe in den Sicherheitskräften. Diese reichen von antisemitischen Äußerungen in Chatgruppen über "Feindeslisten" bis hin zur Vorbereitung auf einen "Tag X". Diese Strukturen müssen systematisch aufgedeckt, bekämpft und sanktioniert werden.


Bildung und Kultur

In Schulen sind antisemitische Stereotype und Ausgrenzung weit verbreitet. Auch in Kultureinrichtungen, wie etwa bei der documenta 15, kam es zu massiven antisemitischen Vorfällen. Hochschulen wiederum stehen in der Kritik, nicht genug für den Schutz jüdischer Studierender zu tun. Vorfälle an Berliner Universitäten im Jahr 2024 verdeutlichen, wie akut die Bedrohungslage ist.


Rolle der Medien


Die Medienlandschaft in Deutschland steht ebenfalls unter Beobachtung. Immer wieder geraten öffentlich-rechtliche Sender wie Tagesschau oder ZDF wegen einseitiger oder relativierender Berichterstattung über Israel in die Kritik. Besonders problematisch ist dabei der Vergleich israelischer Politik mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Solche Darstellungen relativieren den Holocaust und schüren antisemitische Ressentiments.

Auch soziale Netzwerke tragen zur Verbreitung von Hass und Desinformation bei. Algorithmen verstärken polarisierende Inhalte, während antisemitische Kommentare häufig unmoderiert bleiben. Es braucht klare gesetzliche Vorgaben und mehr Verantwortung der Plattformbetreiber.


Antisemitismus in Religionsgemeinschaften


Antisemitische Einstellungen finden sich auch in religiösen Kontexten. Besonders in konservativ-islamischen Milieus gibt es eine erhöhte Affinität zu antisemitischen Verschwörungstheorien. Studien zeigen, dass eine hohe Religiosität unter Muslimen mit antisemitischen Einstellungen korrelieren kann. Aber auch innerhalb christlicher Gruppen bestehen antisemitische Vorurteile, die aus tradierten theologischen Bildern resultieren.

Positive Ansätze gibt es jedoch ebenfalls: Der Zentralrat der Muslime und christliche Kirchen wie die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz haben Initiativen zur Antisemitismusbekämpfung gestartet. Bildungsprogramme, interreligiöse Dialoge und öffentliche Stellungnahmen können einen wichtigen Beitrag leisten.


Warum bisherige Maßnahmen nicht ausreichen


Trotz verschiedener Maßnahmen von Politik, Zivilgesellschaft und Medien bleibt Antisemitismus ein wachsendes Problem. Viele Initiativen sind punktuell, reaktiv und erreichen nicht die strukturellen Ursachen. Es fehlt eine koordinierte Gesamtstrategie, die Bildung, Gesetzgebung, Zivilgesellschaft und digitale Plattformen gleichermaßen einbezieht.



Handlungsperspektiven


Bildung und Aufklärung


Ein verpflichtendes Curriculum zur jüdischen Geschichte und zum Holocaust sollte fester Bestandteil der schulischen Bildung sein. Lehrerfortbildungen müssen gestärkt und Programme gegen Antisemitismus gefördert werden. Auch in der Erwachsenenbildung sollten antisemitismuskritische Module etabliert werden.

Strafverfolgung und Justiz

Die rechtliche Verfolgung antisemitischer Taten muss verbessert werden. Dafür braucht es spezialisierte Staatsanwaltschaften, angepasste Gesetzestexte und mehr Sensibilität bei Ermittlern und Richtern.


Online-Regulierung

Soziale Netzwerke müssen verpflichtet werden, antisemitische Inhalte konsequent zu löschen. Die Zusammenarbeit mit Tech-Unternehmen sollte durch gesetzliche Vorgaben intensiviert und effektiver kontrolliert werden. Gleichzeitig braucht es eine Stärkung der Medienkompetenz in der Bevölkerung.


Interkultureller Dialog

Programme für interkulturellen Austausch, insbesondere mit Fokus auf junge Menschen, können Vorurteile abbauen und gegenseitiges Verständnis fördern. Der Dialog zwischen jüdischen, muslimischen und christlichen Gemeinden sollte institutionell gefördert werden.

Politische Verantwortung

Politische Entscheidungsträger müssen Antisemitismus klar benennen, sich sichtbar dagegen positionieren und entsprechende Ressourcen zur Verfügung stellen. Der Schutz jüdischen Lebens ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft.


Eine demokratische Gesellschaft braucht Respekt

Fritz Bauer, der jüdische Jurist und Aufklärer nationalsozialistischer Verbrechen, sagte: "Die Voraussetzung für Demokratie ist der Respekt vor dem Anderen." Dieser Respekt ist heute mehr denn je gefordert. Antisemitismus ist nicht nur ein Angriff auf Juden, sondern auf die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft. Deshalb braucht es gemeinsames Handeln – von Politik, Justiz, Medien, Bildungseinrichtungen und jedem Einzelnen.

Nur wenn Antisemitismus konsequent bekämpft wird, kann Deutschland seinem Anspruch gerecht werden, ein Ort der Freiheit, der Vielfalt und des gegenseitigen Respekts zu sein.


Quellen:

Quelle

Beschreibung

URL/Referenz

Berliner Generalstaatsanwaltschaft

Berichte über die Anzahl der eingeleiteten Verfahren mit antisemitischem Hintergrund im Jahr 2023

-

Florian Hengst

Antisemitismusbeauftragter der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, Aussagen zu Fällen und Polizeistatistiken

-

Deutschlandfunk

Informationen über rechtsextreme Gruppierungen und ihre antisemitischen Ideologien

Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)

Dokumentation von Verdachtsfällen in Sicherheitsbehörden

Bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU)

Bericht über den Anstieg antisemitischer Vorfälle in Bayern nach dem Hamas-Angriff

-

Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS)

Daten zu antisemitischen Vorfällen in Bayern

Untersuchung der Humboldt-Universität zu Berlin

Projekt „Struggling for Justice – Antisemitismus als justizielle Herausforderung“

Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des American Jewish Committee

Untersuchung über antisemitische Einstellungen in Deutschland

Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)

Programme zur Bekämpfung von Antisemitismus

Deutsche Bischofskonferenz

Initiativen gegen Antisemitismus

Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD)

Initiativen zur Bekämpfung von Antisemitismus in muslimischen Gemeinschaften

Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG)

Maßnahmen gegen antisemitische Tendenzen

United States Holocaust Memorial Museum

Historische Informationen zu Antisemitismus

Facing History & Ourselves

Bildungseinrichtung, die sich mit der Geschichte und den Folgen von Antisemitismus auseinandersetzt

Ken Jebsen und RBB

Fall eines Journalisten, der wegen antisemitischer Verschwörungstheorien entlassen wurde

-

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)

Berichterstattung über antisemitische Vorfälle und gesellschaftliche Tendenzen

Süddeutsche Zeitung (SZ)

Berichterstattung über antisemitische Vorfälle und gesellschaftliche Tendenzen

Deutsche Welle (DW)

Berichte über antisemitische Vorfälle und gesellschaftliche Trends

Zentralrat der Juden in Deutschland

Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz zur Untersuchung antisemitischer Vorfälle im Schulkontext

American Jewish Committee (AJC)

Durchführung von Studien zu antisemitischen Einstellungen in Deutschland

Bundesministerium des Innern (BMI)

Informationen und Berichte zu antisemitischen Vorfällen und rechtsextremen Aktivitäten in Deutschland

BMI



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