Bundesverfassungsgericht zieht enge Grenzen für den Staatstrojaner
- Richard Krauss
- 7. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Aug.
aktualisiert am 07.08.2025 - 10:15
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 07.08.2025 weitreichender Bedeutung die Befugnisse des Staates zur digitalen Überwachung neu vermessen. In zwei Entscheidungen, bekannt als "Trojaner I und II", zogen die Karlsruher Richter eine klare Linie zwischen effektiver Strafverfolgung und den Grundrechten der Bürger.
Während die präventive Überwachung der Polizei in Nordrhein-Westfalen weitgehend bestätigt wurde, erklärten sie Teile der strafprozessualen Befugnisse für verfassungswidrig.
Die Botschaft: Der Staat darf seine mächtigen Werkzeuge nicht unkontrolliert einsetzen.

Im ersten Fall ging es um das Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen. Die Richter befanden, dass die dort verankerte Möglichkeit zur Telekommunikationsüberwachung, die auch verschlüsselte Kommunikation erfasst, grundsätzlich verfassungskonform sei.
Ein solch schwerer Eingriff in das Grundrecht auf die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sei zulässig, solange er dem Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter wie Leben, Freiheit oder der Staatssicherheit diene. Diese Schwelle sei durch die Verknüpfung mit schweren terroristischen Straftaten im Gesetz ausreichend hoch angesetzt.
Deutlich kritischer sahen die Richter jedoch die Regelungen in der Strafprozessordnung. Sie kippten die Erlaubnis zur sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung, wenn diese lediglich zur Aufklärung von Delikten mit einer Höchststrafe von drei Jahren oder weniger eingesetzt wird.
Ein derart massiver Eingriff in die Privatsphäre, der den gesamten Datenstrom eines Geräts ausliest, stehe in keinem Verhältnis zur Schwere von Bagatelldelikten. Damit zog das Gericht eine klare rote Linie, die den Einsatz des Überwachungswerkzeugs auf die Verfolgung besonders schwerer Straftaten beschränkt.
Zudem erklärte das Gericht die Befugnis zur Online-Durchsuchung, die den vollständigen Zugriff auf alle Daten eines IT-Systems ermöglicht, für verfassungswidrig.
Hier lag der Fehler jedoch nicht im Grundsatz, sondern in einem formalen Mangel:
Das Gesetz verfehlte das sogenannte Zitiergebot des Grundgesetzes, da es den Eingriff in das Fernmeldegeheimnis nicht ausdrücklich benannte. Die Vorschrift darf zwar bis zu einer Neuregelung fortgelten, doch der Gesetzgeber ist nun gezwungen, das sensible Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit neu auszutarieren.
Das Urteil ist ein deutliches Signal, dass der digitale Rechtsstaat strenge Anforderungen an die heimliche Überwachung stellt.
Das heutige Urteil erscheint auch in Hinblick auf die Verwendung von Palantir und ihrer Derivate von grundsätzlicher Bedeutung. Dies auch im Kontext des von Alexander Dobrint geplanten bundesweiten Einsatzes von Palantir.
Ergänzende Hinweise:
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wurden unter den Aktenzeichen 1 BvR 1120/22 („Trojaner I“) und 1 BvR 1483/22 („Trojaner II“) veröffentlicht. Beide Urteile sind auf der offiziellen Website des Gerichts (www.bundesverfassungsgericht.de) abrufbar. Die Pressemitteilung Nr. 73/2025 vom 07.08.2025 fasst die wesentlichen Leitsätze zusammen.
Die politische Relevanz des Urteils erstreckt sich auch auf aktuelle Vorhaben wie die bundesweite Einführung der Analyse-Software Palantir Gotham. Bundespolitisch forciert wurde diese zuletzt durch den CSU-Politiker Alexander Dobrindt, der in Interviews und Bundestagsdebatten im Juli 2025 eine gesetzliche Ausweitung auf Bundesebene angekündigt hatte (vgl. Bundestagsdrucksache 20/11834).
In Bayern wird Palantir bereits seit 2022 unter dem Projektnamen „VeRA“ eingesetzt – auch zur Bekämpfung von Eigentumsdelikten. Kritiker sehen hierin eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ausweitung des Instruments auf Bagatellfälle, was durch die aktuelle Karlsruher Entscheidung eine neue Bewertung erfährt (vgl. netzpolitik.org, SZ, BR Recherche 2023–2025).
Quelle:
Okay, hier ist das Glossar zu den wichtigsten juristischen und technischen Begriffen aus dem Text, alphabetisch geordnet:
Glossar
Bundesverfassungsgericht:
Das höchste Gericht in Deutschland. Es hat die Aufgabe, die Einhaltung des Grundgesetzes zu überwachen und entscheidet über Beschwerden von Bürgern, die sich in ihren Grundrechten verletzt sehen.
Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz):
Ein Grundrecht, das die Vertraulichkeit der Kommunikation über Distanz schützt. Es soll verhindern, dass Dritte, einschließlich staatlicher Stellen, private Nachrichten, Gespräche oder Datenübertragungen abhören oder mitlesen.
Grundgesetz (GG):
Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Sie legt die grundlegenden Regeln für den Staat fest und garantiert die unveräußerlichen Grundrechte der Bürger.
IT-System-Grundrecht:
Ein Grundrecht, das die Vertraulichkeit und Integrität von informationstechnischen Systemen (wie Computern oder Smartphones) schützt. Es soll heimliche staatliche Zugriffe verhindern, die tiefe Einblicke in die Lebensgestaltung einer Person ermöglichen könnten.
Online-Durchsuchung:
Eine verdeckte Überwachungsmaßnahme, bei der Behörden Zugriff auf das gesamte IT-System eines Verdächtigen erhalten, um alle dort gespeicherten Daten zu erheben. Sie ist damit umfassender als die Quellen-Telekommunikationsüberwachung.
Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ):
Eine verdeckte Überwachungsmaßnahme, bei der die Behörden heimlich in ein IT-System eindringen, um die Kommunikation abzugreifen, bevor sie verschlüsselt wird.
Verfassungsbeschwerde:
Ein Rechtsmittel, mit dem Bürger eine Verletzung ihrer Grundrechte durch staatliche Stellen direkt vor dem Bundesverfassungsgericht rügen können.
Verhältnismäßigkeit:
Ein juristisches Prinzip, nach dem staatliches Handeln immer angemessen sein muss. Der Eingriff in Grundrechte muss in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ziel (z. B. der Aufklärung einer Straftat) stehen und darf nicht übermäßig sein.
Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz): Eine formale Anforderung an den Gesetzgeber. Wenn ein Gesetz ein Grundrecht einschränkt, muss es dieses Grundrecht ausdrücklich nennen, um sicherzustellen, dass die Tragweite der Einschränkung bewusst gemacht wird.
Exkurs Verfassungsbeschwerde
Die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde ist ein komplexer Vorgang, der strengen formalen und inhaltlichen Anforderungen unterliegt. Die Erfolgsquote ist sehr gering, weshalb eine professionelle rechtliche Beratung dringend empfohlen wird. Hier ist ein genauer Überblick über das Verfahren und die Formvorschriften:
1. Zuständigkeit und Grundprinzip
Die Verfassungsbeschwerde wird beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Sie ist kein weiteres Rechtsmittel im herkömmlichen Sinne (wie eine Berufung oder Revision), sondern dient ausschließlich dem Schutz der in Deutschland garantierten Grundrechte. Es wird also nicht der "Fall" neu verhandelt, sondern nur geprüft, ob ein Grundrecht verletzt wurde.
2. Voraussetzungen für die Zulässigkeit
Damit eine Verfassungsbeschwerde überhaupt vom Bundesverfassungsgericht geprüft wird, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Beschwerdebefugnis: Der Beschwerdeführer muss eine natürliche oder juristische Person sein und behaupten, selbst, unmittelbar und gegenwärtig in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein. Es reicht nicht, eine allgemeine Rechtsverletzung zu rügen.
Gegenstand der Beschwerde (Akt der öffentlichen Gewalt):
Es muss eine staatliche Maßnahme angegriffen werden, z. B. ein Urteil eines Gerichts, ein Verwaltungsakt einer Behörde oder ein Gesetz.
Erschöpfung des Rechtswegs (Subsidiarität):
Dies ist die wichtigste Hürde. Bevor man eine Verfassungsbeschwerde einlegen kann, muss man alle anderen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausgeschöpft haben.
Das bedeutet, man muss den Fall durch alle Instanzen (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof o.ä.) bis zur letzten möglichen Entscheidung geführt haben.
Eine Verfassungsbeschwerde ist somit in der Regel nur gegen die letzte Gerichtsentscheidung möglich. Nur in Ausnahmefällen, bei denen eine andere Maßnahme unzumutbar wäre, kann darauf verzichtet werden.
3. Fristen
Die Fristen sind absolut bindend und können nicht verlängert werden.
Grundfrist: Die Verfassungsbeschwerde muss innerhalb eines Monats nach Zustellung der letzten Gerichtsentscheidung eingelegt und begründet werden. Die Frist beginnt mit dem Tag der Zustellung.
Sonderfall Gesetze: Wird ein Gesetz direkt angegriffen, beträgt die Frist ein Jahr ab Inkrafttreten des Gesetzes.
4. Formvorschriften und Aufbau der Beschwerdeschrift
Die Beschwerdeschrift muss schriftlich eingereicht werden. Es gibt keine Pflicht zur Vertretung durch einen Rechtsanwalt, jedoch ist dies aufgrund der hohen Anforderungen dringend zu empfehlen.
Die Beschwerdeschrift muss folgende Punkte enthalten:
a) Die Beschwerdeschrift selbst:
Anschrift: "An das Bundesverfassungsgericht, Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe".
Kennzeichnung: Der Text muss ausdrücklich als "Verfassungsbeschwerde" bezeichnet werden.
Angabe des Beschwerdeführers: Name, Vorname, Geburtsdatum, Anschrift und ggf. Vertretung.
Angabe des angegriffenen Akts: Genaue Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung (z. B. "Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 2024, Aktenzeichen V ZR 123/23").
b) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde:
Die Begründung ist der entscheidende Teil. Sie muss präzise, juristisch fundiert und substanziiert sein. Eine pauschale Rüge genügt nicht. Die Begründung muss folgende Elemente enthalten:
Sachverhalt:
Eine knappe, aber vollständige Darstellung des Sachverhalts, der zum Rechtsstreit geführt hat.
Darstellung des Rechtswegs:
Auflistung aller Instanzen, die der Fall durchlaufen hat, von der ersten bis zur letzten Entscheidung.
Rüge der Grundrechtsverletzung:
Dieser Teil muss die behauptete Grundrechtsverletzung konkret und überzeugend darlegen. Man muss genau erklären:
Welches Grundrecht
wurde verletzt (z. B. Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit), Art. 10 Abs. 1 GG (Fernmeldegeheimnis)).
Durch wen oder was
wurde es verletzt (z. B. durch eine bestimmte Rechtsauffassung des Gerichts).
Inwiefern wurde das Grundrecht verletzt (sog. "spezifische Verfassungsrüge"). Dies ist der schwierigste Teil. Es muss dargelegt werden, dass die Gerichtsentscheidung gerade aus der spezifischen Sicht des Grundrechts nicht haltbar ist und nicht nur, dass sie fehlerhaft ist. Man muss darlegen, dass die Gerichte die Tragweite des Grundrechts nicht erkannt oder es in unzulässiger Weise eingeschränkt haben.
c) Beizufügende Unterlagen:
Der Beschwerdeschrift müssen alle wesentlichen Unterlagen im Original oder in beglaubigter Kopie beigefügt werden. Dazu gehören:
Die angegriffene Gerichtsentscheidung (mit Zustellungsurkunde).
Alle relevanten Vor-Entscheidungen der Instanzen.
Alle Schriftsätze und andere Dokumente, die für die Beurteilung des Sachverhalts wichtig sind.
5. Wichtiger Hinweis
Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentliches Rechtsmittel, das nur in seltenen Fällen erfolgreich ist. Die meisten Beschwerden werden aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen, oft weil der Rechtsweg nicht erschöpft wurde oder die Frist versäumt wurde. Eine fundierte Begründung, die eine Grundrechtsverletzung spezifisch darlegt, ist für Laien kaum möglich. Daher sollte man sich unbedingt von einem im Verfassungsrecht erfahrenen Rechtsanwalt beraten lassen.
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