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Wenn Oldschool und Fortschritt clashen: Wie sehr prägt uns unser Umfeld – und wer macht heute die Ansagen?

  • Autorenbild: Richard Krauss
    Richard Krauss
  • 17. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Juli

Gesellschaftlicher Wandel ist alles andere als abstrakt: Er zeigt sich hautnah in Diskussionen um Migration, Gendergerechtigkeit, Klimaproteste und Wahlergebnisse.


Während junge Menschen für Zukunftsthemen auf die Straße gehen, bangen andere um Stabilität, Tradition und Identität.


Wer treibt den Wandel, wer bremst ihn – und wie unterschiedlich erleben verschiedene Gruppen in Deutschland und anderswo diese Veränderungen?


Was Absolutismus und Aufklärung für heute bedeuten


Bis ins 18. Jahrhundert war Europa vom Absolutismus geprägt – einem System, in dem Monarchen, Kirche und Adel das Sagen hatten.


Soziale Grenzen waren nahezu unüberwindbar, das Leben vieler war weitgehend vorgezeichnet. Gesellschaftliche Veränderungen kamen, wenn überhaupt, im Schneckentempo – ausgelöst durch Kriege, Herrschaftswechsel oder Katastrophen.


Mit der Aufklärung kam Dynamik ins Spiel. Die Idee, dass alle Menschen Vernunft besitzen, sich selbst bestimmen und Kritik üben dürfen, legte das Fundament für Revolutionen, Bürgerrechte und soziale Bewegungen.


Ohne diesen Bruch wären spätere Forderungen nach Gleichberechtigung, Demokratie und Rechtsstaat undenkbar geblieben.


Die Beschleunigung des Wandels: Von der Industrialisierung bis zum Digitalzeitalter


Ab dem 19. Jahrhundert geraten die Dinge in Bewegung: Fabriken, Eisenbahnen, Zeitungen – gesellschaftliche Entwicklung nimmt ungeahntes Tempo auf. In Deutschland zeigen sich Umbrüche besonders drastisch: vom Arbeiteraufstand 1848 über die Reichsgründung, zwei Weltkriege, die Spaltung in Ost und West, Wiedervereinigung und EU-Integration.


Heute spüren wir Wandel im Alltag mehr denn je. Digitale Technik verändert Kommunikation und Arbeitswelt, Migration bringt neue Identitäten und Herausforderungen mit sich. Protestbewegungen wie Fridays for Future oder #MeToo und aktuelle Bauernproteste stehen exemplarisch für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse:


Während progressive Perspektiven Wandel fordern, pochen konservative und andere Player aus dem politischen Spektrum auf Schutz von Tradition, Heimat und sozialer Sicherheit.


Studien wie die Shell-Jugendstudie zeigen, dass der Veränderungsdruck vor allem bei jungen Menschen angekommen ist.


Sie sind politisiert, global vernetzt und stehen gesellschaftlichen Innovationen offen gegenüber – zugleich klagt die Generation der Älteren häufiger über einen „Verlust alter Werte“ und gesellschaftliche Überforderung (vgl. Allensbach-Umfrage, 2023).


Konservatismus vs. Progressivität: Was Demografie und Wahlverhalten verraten

Dass Gesellschaft kein monolithischer Block ist, zeigt sich am Wahlverhalten: Bei der Bundestagswahl 2021 wählten in der Altersgruppe 18–29 rund 38 % progressive Parteien (vor allem Grüne und FDP), während bei den Über-60-Jährigen die CDU/CSU auf annähernd 35 % kam (bpb.de, 2021).


In Städten und unter Akademikern sind progressive Parteien stark, auf dem Land und unter weniger formal Gebildeten dominieren Konservative, wie das Allensbach-Institut Jahr für Jahr nachweist.


Auch aktuelle Debatten rund um Migration oder Identitätspolitik spiegeln diese Bruchlinien wider. Menschen mit Migrationsgeschichte sind keineswegs durchweg progressiv – viele erste Generationen pflegen traditionsbewusste Einstellungen, während junge Menschen mit Zuwanderungserfahrung besonders offen für gesellschaftlichen Wandel sind (vgl. Mediendienst Integration, 2023).


Beispiel Protest: Während Fridays for Future Schüler:innen in Großstädten mobilisiert, finden Demonstrationen gegen Klimaschutzmaßnahmen auf dem Land bei älteren Menschen mehr Zuspruch.


Die Bauernproteste 2024 liefen vielfach gegen „Entfremdung“ und für Bewahrung – ein Paradebeispiel für das Ringen zwischen Konservatismus und Progressivität in der deutschen Gesellschaft.


Internationale Perspektiven: Wandel im europäischen Vergleich


Vergleicht man Deutschland mit anderen Ländern, so fällt auf: Frankreich erlebt ähnlich leidenschaftliche Protestkultur – etwa bei den Gelbwesten –, in Polen dominiert zuletzt ein konservativer Backlash gegen liberale Werte, während in den USA ein tiefer Streit über Abtreibung, Genderfragen oder Bildungspolitik zwischen urbanen Zentren und ländlichen Regionen tobt. Überall verläuft Wandel entlang ähnlicher Konfliktachsen: Generation, Bildung, Region, Herkunft.


Gesellschaft von morgen: Zukunftsfragen und neue Konflikte

Der Blick nach vorn zeigt: Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz könnten soziale Ungleichheiten verstärken oder neue politische Bewegungen anstoßen. Zugleich wachsen die Risiken gesellschaftlicher Fragmentierung – nicht nur zwischen Alt und Jung, sondern auch durch Digitalisierung, Migration und internationale Krisen. Der soziale Zusammenhalt steht erneut auf dem Prüfstand: Werden uns neue Allianzen und echte Debatten gelingen oder gewinnen „Filterblasen“ die Oberhand?


Fazit: Wandel als Dauerzustand – und Chance

Die letzten 200 Jahre zeigen: Gesellschaft ist wandelbar – wenn auch nie zu gleichen Bedingungen für alle. Alte Konfliktlinien werden neu verhandelt, neuartige wachsen nach. Generation, Herkunft, Wohnort und Bildung prägen, ob Veränderung als Bedrohung oder Chance empfunden wird. Die Debatte zwischen Bewahrung und Erneuerung bleibt der Motor einer resilienten, pluralistischen Demokratie.


Glossar (alphabetisch geordnet)

Absolutismus

Herrschaftsform des 17. und 18. Jahrhunderts mit zentralisierter Macht beim Monarchen. Gesellschaftlich geprägt durch feste ständische Strukturen und geringe Durchlässigkeit.

 

AfD

Alternative für Deutschland – in Teilen als rechtsextremistisch gesicherte Partei eingestuft (laut Bundesamt für Verfassungsschutz, Stand 2024/25). Die AfD vertritt migrations- und islamfeindliche, nationalistische und demokratiekritische Positionen; zentrale Organisationsstrukturen und die Jugendorganisation werden explizit als rechtsextremistisch klassifiziert.

 

Allensbach-Institut

Meinungsforschungsinstitut, das in Deutschland regelmäßig zu gesellschaftlichen und politischen Einstellungen forscht.

 

Aufklärung

Epoche (ca. 1700–1800), in der Vernunft, Kritik an Autoritäten und individuelle Selbstbestimmung zentrale Leitideen wurden. Legt das Fundament für moderne Demokratien.

 

Bauernproteste

Aktuelle und historische Protestbewegungen von Landwirt:innen, meist gegen politische Eingriffe, Subventionskürzungen oder neue Regulierungen.

 

Beschleunigung (sozialer Wandel)

Zunehmendes Tempo gesellschaftlicher Veränderungen, insbesondere seit dem 19. Jahrhundert – geprägt von Technik, Globalisierung und Digitalisierung.

 

Bundestagswahl

Wahl des deutschen Parlaments (Bundestag); spiegelt politische Präferenzen verschiedener Bevölkerungsgruppen und gesellschaftliche Trends wider.

 

CDU/CSU

Christlich Demokratische Union und Christlich-Soziale Union – fördert konservative und wirtschaftsliberale Politik; in ländlichen und älteren Milieus stark verankert.

 

Demografie

Lehre von der Struktur und Entwicklung der Bevölkerung (z. B. nach Alter, Herkunft, Bildung) und deren Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse.

 

FDP

Freie Demokratische Partei – wirtschaftsliberal, setzt auf Eigenverantwortung und digitale Innovation.

 

Filterblase

Zustand, bei dem Menschen in sozialen Medien hauptsächlich mit gleichgesinnten Meinungen und Informationen konfrontiert werden, was zum sozialen „Echoraum“ führt.

 

Fridays for Future

Internationale Klimaschutzbewegung, von Schüler:innen und Studierenden organisiert, die für konsequente Umwelt- und Klimapolitik demonstriert.

 

Grüne

Partei Bündnis 90/Die Grünen – steht für progressive, klimafreundliche und gesellschaftspolitisch offene Positionen.

 

Identitätspolitik

Politische Bewegungen und Debatten, die Unterschiede und Bedürfnisse spezifischer Gruppen (z. B. Gender, Migration) ins Zentrum rücken.

 

Industrielle Revolution

Umwälzende Phase ab dem 19. Jahrhundert, in der neue Technologien, Fabrikarbeit und wirtschaftliche Dynamik Gesellschaften radikal veränderten.

 

Individualisierung

Prozess in modernen Gesellschaften, in dem Menschen zunehmend eigene Lebensentwürfe und Identitäten entwickeln statt festen Gruppen zu folgen.

 

Künstliche Intelligenz (KI)

Digitale Systeme, die „intelligentes“ Verhalten zeigen. Gilt als potenzieller Treiber für zukünftigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel.

 

Konservatismus

Politische und gesellschaftliche Haltung, die Bewährtes, Tradition und Ordnung bewahren und Veränderungen kritisch begleiten will.

 

Milieu

Soziale Gruppe mit ähnlichen Lebensstilen, Einstellungen und Werten (z. B. Arbeitermilieu, urbanes Milieu).

 

Pluralismus

Vielfältige Koexistenz unterschiedlicher Weltanschauungen, Werte und Lebensentwürfe innerhalb einer Gesellschaft; Voraussetzung für Demokratie.

 

Progressivität

Einstellung oder Politik, die gesellschaftlichen Wandel, Innovation, Diversität und Reformen anstrebt.

 

Shell-Jugendstudie

Regelmäßig erscheinende Studie über Einstellungen, Werte und Lebenswelten junger Menschen in Deutschland.

 

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands – historisch verwurzelt in der Arbeiterbewegung, heute zentristisch bis progressiv.

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