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Parteien als Brandbeschleuniger: Skandalisierung und Diskursverschiebung in der deutschen Politik

  • Autorenbild: Richard Krauss
    Richard Krauss
  • 8. Juli
  • 7 Min. Lesezeit

Die politische Kommunikation in Deutschland ist im Jahr 2025 geprägt von Skandalisierung, gezielter Manipulation und wachsender Polarisierung. Parteien, Medien und soziale Netzwerke treiben die Empörungsspirale an, während Fakten oft in den Hintergrund treten und Emotionen die Debatte bestimmen. Ein besonders anschauliches Beispiel liefert die aktuelle Diskussion um das Bürgergeld und andere Sozialleistungen.


Hier zeigt sich deutlich, wie Parteien und Interessensverbände gezielt psychologische und politikwissenschaftliche Mechanismen einsetzen, um öffentliche Meinung zu steuern und Diskurse vorzuorchestrieren. Zentral ist dabei die emotionale Mobilisierung:


Angst vor Missbrauch, Empörung über vermeintliche Ungerechtigkeit und Wut auf „Sozialschmarotzer“ werden bewusst geschürt.


Markus Söder etwa erklärt: „Das Bürgergeld ist zu hoch, zu teuer und führt zu Fehlentwicklungen“, während Carsten Linnemann fordert: „Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen, muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden.“


Einzelne spektakuläre Fälle werden medial überhöht und verallgemeinert, sodass sie als typisch erscheinen – eine klassische kognitive Verzerrung, die von Parteien und Medien gezielt genutzt wird. Gleichzeitig greifen Akteure auf Framing zurück, indem sie Begriffe wie „Sozialstaat am Limit“ oder „Leistung muss sich wieder lohnen“ immer wieder platzieren, um bestimmte Deutungsrahmen zu verankern.


Die Moralisierung der Debatte, etwa durch Alice Weidel („Wir sind die einzige Partei, die sich noch traut, die Wahrheit auszusprechen“), verstärkt die Abgrenzung zwischen „leistender Mitte“ und angeblich „arbeitsunwilligen“ Bürgergeldempfängern. Durch dauerhafte Wiederholung und die Koordination gleichlautender Botschaften über verschiedene Kanäle – von Talkshows bis Social Media – wird die Wahrnehmung gezielt beeinflusst.


Digitale Medien und Algorithmen verstärken polarisierende und emotionalisierende Inhalte, während Microtargeting es ermöglicht, unterschiedliche Zielgruppen mit jeweils passenden Botschaften zu erreichen.


Wissenschaftler wie Andreas Peichl vom ifo-Institut weisen zwar darauf hin, dass viele dieser Narrative empirisch nicht haltbar sind, da Erwerbstätige mit allen Sozialleistungen stets mehr Einkommen haben als reine Bürgergeldbezieher.


Dennoch bleibt die Debatte von einfachen Gegensätzen und moralischer Aufladung geprägt, was eine differenzierte, faktenbasierte Diskussion zunehmend erschwert und die gesellschaftliche Spaltung vertieft.


Diese Entwicklung ist kein Einzelfall. Skandalisierung und Manipulation bestimmen den Ton vieler politischer Auseinandersetzungen.


Parteien wie die AfD nutzen systematisch Desinformation, Opferrollen und digitale Kampagnen, um Gegner zu delegitimieren und die Gesellschaft zu polarisieren. Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht und Die Linke greifen auf populistische Rhetorik zurück. Die FDP hat unter Christian Lindner ihre Kommunikation deutlich zugespitzt; Framing, Personalisierung und Emotionalisierung sind Teil der Strategie. Grüne und CDU/CSU wiederum setzen auf Moralisierung und Symbolpolitik, um ihre Positionen zu stärken.


Digitale Medien beschleunigen diese Entwicklung. Algorithmen bevorzugen polarisierende Inhalte, Filterblasen und Echokammern entstehen, während neue Technologien wie Social Bots und Deepfakes die Unterscheidung von Meinung und Manipulation erschweren. Die Folge: Die Gesellschaft spaltet sich, die politische Mitte verliert an Einfluss, extreme Positionen werden lauter und der sachliche Dialog geht verloren.


Kommunikationswissenschaftlich ist diese Entwicklung kritisch zu bewerten. Parteien und Medien setzen gezielt Deutungsrahmen, um Interpretationen zu verankern.


Emotionalisierung und Moralisierung verstärken Mobilisierung und Polarisierung, während Personalisierung und Skandalisierung Verantwortlichkeiten zuspitzen und die Debatte dramatisieren. Digitale Netzwerke und Algorithmen begünstigen polarisierende Inhalte, Microtargeting unterläuft die Transparenz politischer Kommunikation. Die Qualität des öffentlichen Diskurses leidet:


Sachliche, faktenbasierte Argumentation wird verdrängt, Lautstärke und Zuspitzung bestimmen den Ton. Die Gefahr besteht, dass die Öffentlichkeit manipulierbar wird und der demokratische Meinungsbildungsprozess Schaden nimmt.


Aus politikwissenschaftlicher Sicht sind Skandalisierung, Manipulation und Diskursverschiebung Ausdruck veränderter Macht- und Wettbewerbsstrukturen. Skandalisierung dient als strategisches Mittel, um Gegner zu delegitimieren, die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren und Themen zu setzen.


Die gezielte Zuspitzung von Konflikten und die Moralisierung politischer Auseinandersetzungen führen zu einer zunehmenden Polarisierung. Die politische Mitte verliert an Bindungskraft, extreme Positionen gewinnen an Einfluss. Die deliberative Qualität der Demokratie leidet: Kompromissfähigkeit und sachorientierte Debatte werden als Schwäche ausgelegt, während Konfrontation und Lagerdenken zunehmen.


Wiederholte Skandalisierung und Manipulation untergraben das Vertrauen in politische Institutionen, Parteien und Medien. Die Legitimität demokratischer Prozesse gerät in Gefahr, wenn der Eindruck entsteht, dass Debatten nicht mehr fakten- und argumentationsbasiert, sondern von Empörung und Inszenierung gesteuert werden.


Die politische Kommunikation in Deutschland ist damit an einem Wendepunkt.


Die Gefahren, die von Skandalisierung, Manipulation und Diskursverschiebung für Demokratie und Gesellschaft ausgehen, sind erheblich.


Wiederholte Skandalisierungen und gezielte Kommunikationsstrategien untergraben das Vertrauen der Bürger in Parlamente, Regierung, Justiz und Medien.


Wenn politische Prozesse als inszeniert oder manipuliert wahrgenommen werden, schwindet die Legitimität demokratischer Institutionen.


Die mediale und politische Vorverlagerung von Schuldzuweisungen beschädigt zudem das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung – Entscheidungen werden zunehmend von öffentlicher Empörung statt von sachlicher Prüfung bestimmt.


Gleichzeitig fördert die gezielte Zuspitzung und Moralisierung politischer Debatten die Bildung gegensätzlicher Lager und erschwert Kompromissbereitschaft. Radikale Narrative gelangen durch ständige Wiederholung und mediale Präsenz in den gesellschaftlichen Mainstream, während Filterblasen und Echokammern in digitalen Medien die Öffentlichkeit fragmentieren und verschiedene Gruppen in parallelen Diskurswelten leben lassen.


Die politische Mitte verliert an Bindungskraft, während extreme Stimmen lauter werden und sachliche, differenzierte Argumente im Lärm der Empörung untergehen.


Komplexe Sachverhalte werden vereinfacht und moralisch aufgeladen, sodass die Debatte oft zu einer Frage der moralischen Überlegenheit verkommt, statt um Lösungen zu ringen.


Hinzu kommt die gezielte Verbreitung von Desinformation, Deepfakes und Social Bots, die Stimmungen beeinflussen und Gegner diskreditieren sollen. Microtargeting sorgt dafür, dass unterschiedliche Botschaften an verschiedene Zielgruppen ausgespielt werden, was die Transparenz politischer Kommunikation weiter schwächt.


Die deliberative Qualität der Demokratie leidet, Kompromissfähigkeit und sachorientierte Debatte werden als Schwäche ausgelegt und demokratische Routinen geraten unter Druck. In der Gesellschaft wächst der Zynismus, Politikverdrossenheit nimmt zu, und die Akzeptanz von Hassrede und politisch motivierter Gewalt steigt.


Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird geschwächt, weil die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und gemeinsam Lösungen zu suchen, abnimmt. Insgesamt droht die Demokratie, an einer Kommunikationskultur zu scheitern, die Empörung, Inszenierung und Polarisierung über Respekt, Faktenorientierung und Gesprächsbereitschaft stellt.


Quellen:


Politikwissenschaftliche Literatur


Kommunikationswissenschaftliche Literatur



Psychologische Literatur und Studien


Weitere relevante Quellen




Glossar:


Agenda-Setting

Gezielte Beeinflussung, welche Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Medien und politische Akteure setzen Schwerpunkte und bestimmen, was als gesellschaftlich relevant wahrgenommen wird.


Algorithmus

Rechenverfahren, das in sozialen Netzwerken entscheidet, welche Inhalte Nutzern angezeigt werden. Algorithmen bevorzugen oft polarisierende oder emotionale Beiträge und verstärken so bestimmte Diskurse.


Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)

Psychologischer Mechanismus, bei dem Menschen bevorzugt Informationen aufnehmen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Wird gezielt genutzt, um eigene Anhänger zu binden.


Brandmauer

Politischer Begriff für die klare Abgrenzung einer Partei gegenüber extremistischen Positionen oder anderen Parteien, meist im Kontext der Abgrenzung von demokratischen Parteien gegenüber rechtspopulistischen Akteuren.


Deepfake

Mittels Künstlicher Intelligenz manipulierte Video- oder Audioaufnahmen, die Personen täuschend echt Dinge sagen oder tun lassen, die nie stattgefunden haben. Deepfakes werden zunehmend für politische Desinformation eingesetzt.


Desinformation

Absichtliche Verbreitung falscher oder irreführender Informationen, um die öffentliche Meinung zu manipulieren, Gegner zu diskreditieren oder gesellschaftliche Konflikte zu schüren.


Diskursverschiebung

Veränderung gesellschaftlicher Deutungsmuster und Themen: Positionen, die einst randständig waren, werden durch Wiederholung und mediale Präsenz in den gesellschaftlichen Mainstream verschoben.


Echo-Kammer

Sozialer Raum, in dem Menschen fast ausschließlich mit gleichgesinnten Meinungen konfrontiert werden. Dies verstärkt Polarisierung und die Abgrenzung von anderen Gruppen.


Emotionalisierung

Strategie, politische Kommunikation mit starken Gefühlen wie Angst, Empörung oder Wut aufzuladen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen und Zustimmung zu mobilisieren. Sachargumente treten dabei oft in den Hintergrund.


Faktencheck

Überprüfung von Behauptungen, Aussagen oder Berichten auf ihren Wahrheitsgehalt. Faktenchecks dienen als Mittel gegen Desinformation und Falschmeldungen.


Filterblase

Zustand, in dem Nutzer sozialer Netzwerke nur noch Informationen sehen, die ihre eigenen Ansichten bestätigen. Algorithmen sorgen dafür, dass widersprechende Inhalte ausgeblendet werden.


Framing

Einbettung eines Themas in einen bestimmten Deutungsrahmen, der beeinflusst, wie ein Sachverhalt wahrgenommen und bewertet wird (z.B. Migration als „Krise“ oder „Chance“).


Identitätspolitik

Politische Strategien, die auf die Interessen und das Selbstverständnis bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (z. B. nach Herkunft, Geschlecht, Religion) abzielen und diese in den Mittelpunkt stellen.


Kognitive Verzerrung

Systematische Fehler im Denken, die dazu führen, dass Menschen Informationen verzerrt wahrnehmen und bewerten. Parteien nutzen diese Effekte, um Narrative zu verstärken.


Komplexitätsreduktion

Vereinfachung komplexer Sachverhalte auf einfache Gegensätze oder Schlagworte, um sie leichter kommunizierbar zu machen – oft zulasten von Genauigkeit und Differenziertheit.


Manipulation

Gezielte Beeinflussung von Meinungen, Einstellungen oder Verhalten durch sprachliche, visuelle oder technische Mittel, häufig ohne dass die Betroffenen dies bemerken.


Microtargeting (Mikrotargeting

)Datenbasierte Strategie, bei der politische Botschaften gezielt auf einzelne Wählergruppen zugeschnitten und über digitale Kanäle ausgespielt werden.


Moralisierung

Aufladung politischer Debatten mit moralischen Urteilen, wodurch Gegner als unmoralisch oder illegitim dargestellt werden.


Narrativ

Sinnstiftende Erzählung, die politische und gesellschaftliche Ereignisse in eine verständliche Geschichte einbettet und Identität stiftet.


Opferinszenierung

Strategische Darstellung einer Partei, eines Politikers oder einer Gruppe als Opfer von Angriffen, Ausgrenzung oder Ungerechtigkeit, um Sympathie und Mobilisierung zu erreichen.


Personalisierung

Fokussierung politischer Kommunikation auf Einzelpersonen, um Verantwortlichkeiten klar zu machen und Emotionen zu bündeln. Komplexe Sachverhalte werden so auf Personen reduziert.


Polarisierung

Zuspitzung gesellschaftlicher oder politischer Konflikte in gegensätzliche Lager, die kaum noch miteinander kommunizieren. Polarisierung erschwert Kompromisse und fördert gesellschaftliche Spaltung.


Populistische Rhetorik

Kommunikationsstrategie, die auf Vereinfachung, Emotionalisierung und die Gegenüberstellung von „Volk“ und „Elite“ setzt. Populismus nutzt Freund-Feind-Schemata und spricht gezielt Urängste an.


Propaganda

Systematische und langfristige Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch gezielte Auswahl und Präsentation von Informationen, häufig im Interesse einer bestimmten Ideologie oder Politik.


Reframing

Strategie, einen bestehenden Deutungsrahmen gezielt zu verändern oder umzudeuten, um eine neue Bewertung desselben Sachverhalts zu erreichen.


Sachorientierung

Ausrichtung politischer Kommunikation auf Fakten, Argumente und Lösungen, statt auf Emotionen, Skandale oder Schuldzuweisungen.


Schlagwort

Eingängiger Begriff oder Slogan, der komplexe Sachverhalte vereinfacht und zur Mobilisierung dient.


Self-Skandalisierung (Selbstskandalisierung)

Bewusstes Provozieren von Skandalen durch politische Akteure, um Aufmerksamkeit zu gewinnen oder sich als Opfer zu inszenieren.


Skandalisierung

Gezielte öffentliche Zuspitzung und Moralisierung eines tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlverhaltens, um Empörung zu erzeugen und politische Gegner zu schwächen.


Social Bots

Automatisierte Programme, die in sozialen Netzwerken Inhalte verbreiten, um Meinungen zu beeinflussen, Trends zu setzen oder Debatten zu steuern.


Spin-Doctoring

Politikwissenschaftlicher Mechanismus, bei dem professionelle Kommunikationsberater gezielt die öffentliche Wahrnehmung politischer Ereignisse und Personen steuern.


Symbolpolitik

Politische Maßnahmen oder Aussagen, die vor allem auf Wirkung und Signalsetzung zielen, ohne faktisch große Veränderungen zu bewirken.


Themenplatzierung

Gezielte Einführung und Wiederholung bestimmter Themen in der öffentlichen Debatte, um die Agenda zu bestimmen und die Wahrnehmung zu steuern.


Unschuldsvermutung

Rechtsstaatliches Prinzip, nach dem jeder Mensch als unschuldig gilt, bis seine Schuld bewiesen ist. In Skandalisierungsprozessen wird dieses Prinzip oft durch öffentliche Vorverurteilung unterlaufen.


Verfügbarkeitsheuristik

Kognitive Verzerrung, bei der spektakuläre oder medial präsente Ereignisse als häufiger oder typischer wahrgenommen werden, als sie tatsächlich sind.


Zuspitzung

Bewusste Verschärfung von Aussagen oder Konflikten, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, Debatten zu dominieren oder Gegner unter Druck zu setzen.



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