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Friendly fire - Wie US-Zölle Europas Handel in Geiselhaft nahmen.

  • Autorenbild: Richard Krauss
    Richard Krauss
  • 29. Juli
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Juli

KI generiertes Bild: Schachbrett in der Mitte gebrochen - symbolisch für die transatlantischen Beziehungen
KI generiertes Bild: Schachbrett in der Mitte gebrochen - symbolisch für die transatlantischen Beziehungen

Die Handelsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten haben sich in den vergangenen Jahren, insbesondere unter der Präsidentschaft Trumps, als ein Terraingewinnungsfeld unverhohlener Machtpolitik erwiesen. Was vordergründig als kontradiktorisches Ringen um Stahl- oder Whiskeyzölle firmierte, entpuppte sich bei näherer Betrachtung als eine fundamentale Auseinandersetzung um divergenten Handelsphilosophien und die globale Architektur der Hegemonie


Die zugrundeliegenden strategischen Kalküle, die aggressive Rhetorik und die oft schmerzhaften Implikationen müssen schonungslos seziert werden.


Die amerikanische Strategie unter Präsident Trump folgte einer kompromisslosen "America First"-Doktrin. Im Handel manifestierte sich dies als Abkehr vom multilateralen Korsett zugunsten einer aggressiven, bilateralen Druckpolitik. Das Kernziel war hierbei die unbedingte Durchsetzung amerikanischer Interessen, notfalls unter Inkaufnahme der Dezimierung etablierter Allianzen und internationaler Normen. Die kommunikative Inszenierung der USA war dabei deliberat unberechenbar und konfrontativ


Zölle wurden als schlagartige punitive Maßnahme in Aussicht gestellt und implementiert, nicht als diskursive Verhandlungsmasse. Das Narrativ der "fairen" und "reziproken" Zölle diente als dünner Firnis zur Maskierung eines unverblümten Protektionismus, während jede kritische Einlassung als Affront gegen die amerikanische Souveränität diskreditiert wurde. 


Hier ging es nicht um das Aushandeln von genuinen Win-Win-Szenarien, sondern um die Demonstration hegemonialer Stärke und die Schaffung eines asymmetrischen Verhandlungsvorteils durch die explizite Androhung massiven ökonomischen Schadens


Aus europäischer Perspektive war dies in vielerlei Hinsicht eine Form der ökonomischen Erpressung: Die Alternativlosigkeit der Wahl zwischen schmerzhaften Zugeständnissen oder einer Eskalation, deren potenzielle Kollateralschäden für die europäische Wirtschaft ungleich höher zu veranschlagen gewesen wären, ließ kaum Interpretationsspielraum. 


Die Rechtfertigung dieser Politik speiste sich aus einer hochgradig vereinfachten, populistisch zugespitzten Erzählung von einer angeblichen strukturellen Benachteiligung Amerikas in globalen Handelsbeziehungen und der Mär von den Handelsdefiziten als Jobkillern. 


Fachökonomen wiesen diese Kausalzusammenhänge als grob irreführend und unzulässig verkürzt zurück, doch für die innenpolitische Mobilisierung erwies sich die Botschaft als eminent wirkmächtig.


Die Europäische Union fand sich in einem beispiellosen strategischen Dilemma wieder. Als prägende Architektin und unbedingte Verfechterin des regelbasierten Welthandelssystems war sie plötzlich genötigt, auf einen primär unilateral agierenden Akteur zu reagieren, ohne die existenzielle transatlantische Partnerschaft vollends zu pulverisieren. 


Die EU-Strategie war somit ein prekärer Drahtseilakt zwischen prinzipientreuer Deeskalierung und der notgedrungenen Adaptation an eine unerbittliche Machtlogik. 


Kommunikativ versuchte die EU anfänglich eine Linie der Besonnenheit, appellierte an gemeinsame Werte und die Evidenz der Vernunft. Als die US-Drohungen jedoch in die Tat umgesetzt wurden, schwenkte die EU auf eine Strategie der scharfen Gegendrohung und des strategischen Spiegelns um: Auf US-Zölle folgten präzise kalkulierte europäische Gegenzölle auf US-Produkte, die bewusst bestimmte US-Bundesstaaten oder Wirtschaftszweige treffen sollten. 


Dies war keine Geste der Kapitulation, sondern ein unmissverständliches Signal: Die EU ließ sich nicht widerstandslos vorführen und war ebenfalls bereit, die Instrumente des Handelsschutzes zu nutzen. Die Rechtfertigung lag in der unumgänglichen Verteidigung des europäischen Binnenmarktes und des bedrohten multilateralen Handelssystems. Die Kritik an den USA wurde oft in Warnungen vor einer Abwärtsspirale verpackt, die den globalen Wohlstand gefährde. Doch inwieweit diese "spiegelnde" Reaktion der EU nicht paradoxerweise die Logik des Protektionismus legitimierte, bleibt eine kritische Frage.


Die Folgen dieser Zollauseinandersetzungen waren in ihrer Gänze kontraproduktiv und systemisch schädlich. Für beide Volkswirtschaften bedeuteten Zölle letztlich eine Erhöhung der Kostenstruktur: Verteuerte Vorprodukte für die Industrie oder unmittelbar teurere Konsumgüter für die Endverbraucher. Für die Konsumenten in der EU und den USA manifestierten sich die Zölle direkt in höheren Preisen für spezifische Importprodukte – Whiskey, Harley-Davidsons oder Jeans aus den USA, Stahl, Aluminium oder Agrarprodukte aus der EU. Die Produktvielfalt wurde eingeschränkt, und der Wettbewerb verzerrt, was schleichend Innovation und Effizienz untergrub. 


Die Volkswirtschaften beiderseits des Atlantiks litten massiv unter der daraus resultierenden Unsicherheit. Investitionen wurden aufgeschoben, komplexe globale Lieferketten mussten unter enormen Kosten revidiert werden, und die Planbarkeit für Unternehmen schwand dramatisch. Zölle fungierten als eine verdeckte Steuer, deren Last letztlich von den Konsumenten oder den produzierenden Unternehmen getragen wurde und das Wirtschaftswachstum empfindlich drosselte. Gerade für die exportorientierte deutsche Wirtschaft, die tief in den USA verwurzelt ist, waren die wiederholten Drohungen mit Autozöllen ein Damoklesschwert von existenzbedrohender Dimension. Die Erosion globaler Handelsvolumen und die Tendenz zur Fragmentierung der Weltwirtschaft sind langfristige, besorgniserregende Entwicklungen.


Die Debatte, ob die EU tatsächlich "erpresst" wurde, ist keine rhetorische Spitzfindigkeit, sondern der analytische Kern einer ungeschminkten Betrachtung. Angesichts des aggressiven, unilateralen Ansatzes der USA, der mit der existenzbedrohenden Androhung von Zöllen auf europäische Schlüsselindustrien einherging, ist der Begriff der Erpressung aus europäischer Sicht vollauf gerechtfertigt. 


Die faktische Alternative zu Verhandlungen unter Druck war eine Eskalation, deren wirtschaftliche Schäden für die EU potenziell katastrophal gewesen wären. Die EU sah sich somit gezwungen, Konzessionen zu machen, um einen noch größeren ökonomischen Kollaps abzuwenden. 


Die Kritik an der US-Strategie ist fundamental: Sie hat das mühsam aufgebaute multilaterale Handelssystem brachial demontiert, globale Lieferketten in Chaos gestürzt und das Vertrauen unter langjährigen Verbündeten, die eigentlich eine gemeinsame Wertebasis teilen, nachhaltig zerstört. Ökonomen betonen unisono, dass Zölle langfristig keine Handelsdefizite lösen, sondern lediglich ineffizient sind und die Kosten als versteckte "Strafzölle" auf die eigene Bevölkerung abwälzen. 


Die Kritik an der EU-Strategie ist komplexer und differenzierter: Manche monieren eine anfängliche Zögerlichkeit oder das Fehlen einer proaktiven, über reines Reagieren hinausgehenden Agenda. Andere sehen in der EU-Antwort, die ebenfalls auf Zölle setzte, eine ungewollte Akzeptanz der Logik der Gegendrohung – ein paradoxes Signal, das die weitere Erosion des regelbasierten Handelssystems womöglich ungewollt forcierte, obwohl die EU sich als dessen Verteidigerin inszenierte. Die zunehmende Semantik des "Deals" in medialen wie politischen Diskursen überlagert derweil die eigentlichen "bilateralen Verhandlungen" in besorgniserregendem Maße. 


Dieser aus dem angloamerikanischen Raum stammende Terminus suggeriert ein rasches, intransparentes Geschäft mit transaktionaler Konnotation, die dem komplexen, langwierigen und oft wertebasierten Charakter diplomatischer Prozesse fundamental fremd ist. Wenn Medien diese Phrase unreflektiert adaptieren, simplifizieren sie die Realität internationaler Politik. 


Bedient sich gar die Europäische Union als Verfechterin des Multilateralismus dieser Sprache, birgt dies die Gefahr, ihre eigenen prinzipiellen Grundlagen zu untergraben und die Wahrnehmung politischer Komplexität auf eine reine Win/Lose-Ökonomie zu reduzieren.


Mit dem Regierungswechsel in den USA und dem Amtsantritt von Präsident Biden gab es zwar ernsthafte Bestrebungen, die transatlantischen Handelsbeziehungen zu "normalisieren" und die akuten Streitigkeiten um Stahl- und Aluminiumzölle sowie den Boeing-Airbus-Konflikt beizulegen. 


Doch die Narben der vergangenen Auseinandersetzungen bleiben tief und werden die transatlantischen Beziehungen auf absehbare Zeit prägen. Die EU ist sich der existenziellen Verletzlichkeit gegenüber unilateralen Aktionen nun schmerzlich bewusst geworden. Diese Erfahrung wird zweifellos die strategische Autonomie der EU im Handel und in der Geopolitik langfristig prägen und ihre Handelspolitik resilienter gestalten müssen. 


Die Zollvereinbarungen und ihre Entstehung sind somit nicht nur Zeugnisse von Kompromissen, sondern auch von den tiefen Bruchlinien in den internationalen Beziehungen. Sie illustrieren auf drastische Weise, wie ökonomische Instrumente als brutale Machthebel eingesetzt werden und welche weitreichenden Konsequenzen dies für die fundamentalen Werte von Multilateralismus, Kooperation und gegenseitigem Vertrauen hat – Werte, die für stabile Demokratien eigentlich unverzichtbar sind. 


Die Fähigkeit, aus solchen Phasen zu lernen und die eigene Widerstandsfähigkeit zu stärken, wird für die EU und ihre Rolle in einer zunehmend fragmentierten Welt von entscheidender Bedeutung sein.


Quellenverzeichnis


  • Europäische Kommission, Generaldirektion Handel. Berichte, Analysen und Pressemitteilungen zu den Handelsbeziehungen EU-USA. Verfügbar unter: ec.europa.eu/trade/policy/countries-and-regions/countries/united-states (Abrufdatum: Juli 2025)

  • Office of the United States Trade Representative (USTR). Informationen zu US-Handelspolitik und Zollmaßnahmen. Verfügbar unter: ustr.gov (Abrufdatum: Juli 2025)

  • IfW Kiel (Institut für Weltwirtschaft Kiel). Analysen zu Handelskonflikten und Protektionismus. Regelmäßige Publikationen und Studien, z.B. zu den ökonomischen Effekten von US-Zöllen.

  • DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung). Wirtschaftliche Analysen und Gutachten zu den Auswirkungen von Zöllen auf spezifische Branchen und die Gesamtwirtschaft.

  • Renommierte Medienarchive (z.B. DIE ZEIT, Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Recherchen im Zeitraum der Zollkonflikte (ca. 2018-2021) und deren nachfolgender Analyse und Aufarbeitung.

  • World Trade Organization (WTO). Offizielle Dokumente, Grundsatzpapiere und Dispute-Settlement-Berichte zu den beteiligten Konflikten.



Glossar


America First

Eine politisch-ideologische Doktrin, die in der Ära Trump die kompromisslose Priorisierung nationaler US-Interessen über jene der internationalen Gemeinschaft und multilateraler Partnerschaften postulierte.


Deal

Ein Terminus, der im Kontext internationaler Beziehungen und Politik zunehmend verwendet wird, um Verhandlungen oder Abkommen zu beschreiben. Ursprünglich aus dem Geschäftsleben kommend, suggeriert er oft eine schnelle, potenziell intransparente Transaktion und kann die Komplexität und den langfristigen Charakter diplomatischer Prozesse verzerren.


Desinformation

Falsche oder irreführende Informationen, die mit bewusster Absicht verbreitet werden, um zu täuschen, zu manipulieren oder bestimmte Narrative zu etablieren.


DSGVO

Die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union (General Data Protection Regulation), ein umfassendes Regelwerk zum Schutz personenbezogener Daten und zur Gewährleistung der Privatsphäre der EU-Bürger.


IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus

Die vom International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) verabschiedete, nicht-bindende Definition von Antisemitismus, die sowohl eine allgemeine Beschreibung als auch illustrative Beispiele für antisemitische Manifestationen umfasst.


Konsumenten

Die letztendlichen Abnehmer von Gütern und Dienstleistungen, die diese für den Eigenbedarf oder zur Befriedigung individueller Bedürfnisse erwerben.


Multilateralismus

Ein fundamentaler Ansatz in den internationalen Beziehungen, der die Zusammenarbeit zwischen mehreren Staaten in globalen Angelegenheiten, typischerweise im Rahmen internationaler Organisationen und Abkommen, als bevorzugtes Prinzip etabliert.


Pluralismus

Ein gesellschaftliches Prinzip, das die Koexistenz und gleichberechtigte Ausdrucksmöglichkeit verschiedener Meinungen, Interessen, Kulturen und Gruppen innerhalb eines Systems oder einer Gesellschaft zulässt.


Protektionismus

Eine wirtschaftspolitische Strategie, die heimische Märkte und Industrien vor ausländischer Konkurrenz schützen soll, typischerweise durch die Implementierung von Zöllen, Importquoten oder Subventionen.


 

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