Bundeswehr und die Debatte um die Wehrpflicht im Kontext der Zeitenwende
- Richard Krauss

- 1. Aug.
- 24 Min. Lesezeit
Die Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland hat in den letzten Jahren erheblich an Intensität gewonnen. Angesichts fundamentaler Verschiebungen im globalen Sicherheitsumfeld, insbesondere der russischen Aggression in Europa, wird die Frage nach der personellen Aufstellung und der gesamtgesellschaftlichen Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr neu bewertet.
Historischer Überblick: Aussetzung der Wehrpflicht 2011 und ihre Gründe
Die allgemeine Wehrpflicht für Männer in Deutschland wurde zum 1. Juli 2011 ausgesetzt. Es ist von entscheidender Bedeutung, zu betonen, dass die Wehrpflicht nicht abgeschafft, sondern lediglich in einen „Ruhezustand“ versetzt wurde.
Dies bedeutet, dass sie rechtlich weiterhin in Artikel 12a des Grundgesetzes verankert ist und theoretisch durch ein einfaches Parlamentsgesetz mit einfacher Mehrheit reaktiviert werden könnte.
Die Entscheidung zur Aussetzung basierte auf mehreren Faktoren, die sich aus der damaligen sicherheitspolitischen Lage ergaben. Nach dem Ende des Kalten Krieges herrschte in Deutschland und Europa die Annahme einer „Friedensdividende“, die eine drastische Entlastung des Staatshaushalts durch reduzierte Verteidigungsausgaben ermöglichte.
Die strategische Ausrichtung der Bundeswehr verlagerte sich von der Landes- und Bündnisverteidigung hin zu internationalen Krisenmanagement- und Expeditionseinsätzen. Für diese neuen Aufgaben wurde eine kleinere, hochprofessionelle Freiwilligenarmee als effizienter erachtet.
Weitere Gründe für die Aussetzung waren Effizienzbedenken. Die auf sechs Monate verkürzte Wehrdienstzeit wurde als zu kurz für eine effektive militärische Ausbildung angesehen, was den Nutzen der Wehrpflicht in Frage stellte. Ein zentrales Problem war zudem die „Wehrgerechtigkeit“.
Da die Bundeswehr schrumpfte, wurde nur noch ein kleiner, oft willkürlich ausgewählter Teil der wehrpflichtigen Männer eingezogen. Dies führte zu einer Ungleichbehandlung und erheblichem öffentlichen und rechtlichen Unmut.
Die fortbestehende Verankerung der Wehrpflicht im Grundgesetz, auch wenn sie ruht, stellt einen wichtigen rechtlichen Hebel dar. Diese rechtliche Gegebenheit ermöglicht es der aktuellen Politik, die Wehrpflicht für Männer verhältnismäßig schnell wieder zu aktivieren, ohne den aufwendigen Prozess einer Grundgesetzänderung durchlaufen zu müssen.
Diese Situation spiegelt eine frühere strategische Fehleinschätzung wider, die nun unter dem Druck einer veränderten Bedrohungslage korrigiert werden muss. Die Leichtigkeit der rechtlichen Reaktivierung für Männer steht jedoch im Kontrast zu den weiterhin bestehenden politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter und das Prinzip der Wehrgerechtigkeit, die bereits bei der ursprünglichen Aussetzung eine Rolle spielten.
Aktueller Kontext: Geopolitische Veränderungen und die "Zeitenwende"
Die geopolitische Landschaft Europas hat sich seit 2014, insbesondere mit der russischen Annexion der Krim und dem umfassenden Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022, dramatisch verändert.
Diese Entwicklungen haben Deutschlands Bedrohungswahrnehmung und Verteidigungsprioritäten grundlegend neu definiert. Die Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung und die Verteidigungspolitischen Richtlinien sind nun explizit auf die „Landes- und Bündnisverteidigung“ ausgerichtet. Dies stellt eine Abkehr von der vorherigen Fokussierung auf internationale Stabilisierungseinsätze dar.
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Notwendigkeit einer „kriegstüchtigen“ Bundeswehr betont, um der veränderten Bedrohungslage gerecht zu werden. Obwohl der Begriff „verteidigungsbereit“ von einigen als weniger militaristisch empfunden wird, bleibt die Botschaft der dringenden Notwendigkeit einer robusten militärischen Handlungsfähigkeit unmissverständlich.
Die verschärfte Bedrohungswahrnehmung ist in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung präsent, wobei eine klare Mehrheit Russland als „existenzielles Risiko“ für die Sicherheit Deutschlands und Europas betrachtet. Diese breite öffentliche Akzeptanz schafft einen gewissen politischen Spielraum für die Stärkung der nationalen Verteidigungsfähigkeiten.
Die „Zeitenwende“ ist somit weit mehr als ein politisches Schlagwort; sie ist eine tiefgreifende, umfassende Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik. Der Wandel von einer Denkweise der „Friedensdividende“ hin zur Priorisierung der „Landes- und Bündnisverteidigung“ verändert die Anforderungen an Größe, Struktur und Personal der Bundeswehr grundlegend.
Diese strategische Notwendigkeit ist der direkte Auslöser für die erneute Debatte um die Wehrpflicht, da das bestehende Freiwilligenmodell als unzureichend angesehen wird, um die neuen, umfassenderen Verteidigungsbedürfnisse zu erfüllen.
Die aktuelle geopolitische Realität, insbesondere die eskalierende russische Bedrohung, zwingt Deutschland dazu, die Grenzen seiner post-Kalten-Kriegs-Verteidigungsstruktur kritisch zu hinterfragen. Die Diskussion um die Wehrpflicht ist daher kein isoliertes politisches Thema, sondern ein Ausdruck einer notwendigen gesellschaftlichen und strategischen Anpassung an ein gefährlicheres globales Umfeld, das möglicherweise eine umfassendere Neudefinition der bürgerschaftlichen Verantwortung für die nationale Sicherheit erfordert.
Politische Positionen und Modelle zur Wehrpflicht
Die Debatte um die Wehrpflicht ist von vielfältigen politischen Positionen und Modellvorschlägen geprägt, die von einer vollständigen Reaktivierung bis hin zu rein freiwilligen Ansätzen reichen.
Tabelle 1: Positionen wichtiger Akteure zur Wehrpflicht/Dienstpflicht
Akteur/Partei | Kernposition | Schlüsselmerkmale/Modellvorschlag | Bedingungen/Vorbehalte |
Boris Pistorius (Verteidigungsminister) | Verpflichtende Befragung für Männer (QR-Code-Fragebogen), freiwillig für Frauen. Ziel: besseres Lagebild. Freiwilliger Dienst 6-23 Monate. Finanzielle Anreize. | Verpflichtung, falls Freiwillige nicht ausreichen. Gesetz derzeit ungewiss. | |
Carsten Breuer (Generalinspekteur) | Freiwilligkeit, Wehrpflicht als "Rückversicherung" | Gewinnung von ca. 100.000 Soldaten durch freiwilligen Wehrdienst. | Wehrpflicht als Option, falls Personalbedarf nicht durch Freiwilligkeit gedeckt wird. Sorge vor sinkender Einsatzbereitschaft bei Zwang. |
Union (CDU/CSU) | Verpflichtendes Dienstjahr für alle | Obligatorisches Dienstjahr für Männer und Frauen. Wahl zwischen Bundeswehr und sozialen/kulturellen/ökologischen Einrichtungen ("Gesellschaftsjahr"). "Aufwachsende Wehrpflicht". | Drängen auf schnelle Entscheidung aufgrund der Bedrohungslage. Grundgesetzänderung für Frauen notwendig. |
SPD | Freiwilliger Wehrdienst | Setzt auf Freiwilligkeit im Koalitionsvertrag. Stärkung bestehender Freiwilligendienste (FSJ, BFD) mit besseren finanziellen Rahmenbedingungen. | Keine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vor der nächsten Bundestagswahl. |
Bündnis 90/Die Grünen | Gegen Pflichtdienst, für bessere Rahmenbedingungen für Freiwilligkeit | Fokus auf Freiwilligkeit. | Ablehnung von Zwang. Langfristige Gleichstellung als Bedingung für Frauen in Pflichtdienst. |
Verteidigungsminister Boris Pistorius' Ansatz: "Neuer Wehrdienst" und "Auswahlwehrdienst"
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat ein detailliertes Modell für einen „Neuen Wehrdienst“ vorgestellt, den er auch als „Auswahlwehrdienst“ bezeichnet.
Dieses Konzept zielt darauf ab, die Bundeswehr an die veränderte Sicherheitslage anzupassen und die Anzahl der verfügbaren Reservistinnen und Reservisten signifikant zu erhöhen.
Das zentrale verpflichtende Element seines Plans ist ein obligatorischer Online-Fragebogen für alle jungen Männer, die das 18. Lebensjahr vollenden. Dieser Fragebogen erfasst persönliche Daten, Motivation, Verfügbarkeit, Bildungsabschlüsse und Qualifikationen, um ein umfassendes „Lagebild“ über das potenzielle Rekrutierungspotenzial zu erhalten.
Für junge Frauen ist die Beantwortung dieses Fragebogens freiwillig. Personen, die Interesse bekunden und nach einem anschließenden Assessment (Musterung) als geeignet und tauglich befunden werden, können freiwillig einen Wehrdienst leisten.
Die Dauer dieses Dienstes ist flexibel gestaltet und kann zwischen sechs und 23 Monaten variieren. Ein sechsmonatiger Dienst würde in der Regel die Grundausbildung umfassen, während längere Verpflichtungen eine Spezialausbildung und die Integration in die Einsatzkräfte vorsehen.
Um längere Dienstzeiten attraktiv zu machen, sind finanzielle und andere Anreize vorgesehen.
Obwohl das Modell primär auf Freiwilligkeit setzt, hat Minister Pistorius angedeutet, dass eine Verpflichtung zum Wehrdienst in Betracht gezogen werden könnte, falls die Anzahl der Freiwilligen nicht ausreicht, um den Personalbedarf der Bundeswehr zu decken. Der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf zur Einführung des Neuen Wehrdienstes ist jedoch aufgrund innerpolitischer Veränderungen im November 2024 derzeit ungewiss.
Dieser Ansatz des Verteidigungsministers stellt einen pragmatischen politischen Kompromiss dar. Er versucht, die politisch sensible Frage der Wehrpflicht zu umgehen, indem er zunächst eine verpflichtende Erfassungs- und Bewertungsphase einführt, anstatt sofort einen allgemeinen Pflichtdienst zu verhängen.
Dieser Weg ermöglicht es der Bundeswehr, systematisch Daten über potenzielle Rekruten zu sammeln und ihr „Lagebild“ zu verbessern, was als entscheidend für die zukünftige Personalplanung gilt.
Die Flexibilität in der Dienstzeit und die angebotenen Anreize sind darauf ausgelegt, den Wehrdienst attraktiver zu gestalten und ihn an moderne Lebensentwürfe anzupassen, wodurch einige der Kritikpunkte an einer starren, traditionellen Wehrpflicht adressiert werden.
Das Modell ist somit ein Hybridansatz, der auf datengestützte Rekrutierung und Anreize setzt, aber gleichzeitig einen Mechanismus für eine mögliche zukünftige Pflichtkomponente bereithält, falls die freiwillige Rekrutierung die erforderlichen Zahlen nicht erreicht.
Generalinspekteur Carsten Breuer: Freiwilligkeit als "Rückversicherung"
Generalinspekteur Carsten Breuer, der höchste Soldat der Bundeswehr, hat sich in der Debatte um die Personalgewinnung zunächst klar für die Freiwilligkeit ausgesprochen.
Er betont, dass die Gewinnung von dringend benötigtem Personal primär auf freiwilliger Basis erfolgen sollte und warnt davor, dass eine Reaktivierung der Wehrpflicht die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte mindern könnte. Breuer hat das Ziel formuliert, rund 100.000 zusätzliche Soldaten durch einen neuen freiwilligen Wehrdienst zu gewinnen.
Trotz dieser Präferenz für Freiwilligkeit hat Generalinspekteur Breuer das alte Pflichtmodell der Wehrpflicht als „Rückversicherung“ bezeichnet. Diese Formulierung signalisiert, dass die Option einer verpflichtenden Komponente nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird, sollte sich die freiwillige Rekrutierung als unzureichend erweisen, um den strategischen Personalbedarf der Bundeswehr zu decken.
Die Haltung des Generalinspekteurs, die einerseits Freiwilligkeit bevorzugt, andererseits die Wehrpflicht als „Rückversicherung“ betrachtet, offenbart eine strategische Absicherung der militärischen Führung.
Während hochmotivierte und spezialisierte Freiwillige für ihre Effizienz und spezifischen Fähigkeiten bevorzugt werden, zwingt die schiere Größe des Personalmangels der Bundeswehr und die Dringlichkeit der russischen Bedrohung die Militärplaner dazu, alle Optionen in Betracht zu ziehen.
Das Konzept der „Rückversicherung“ deutet darauf hin, dass die quantitativen Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung letztendlich eine Form von Zwangsdienst erforderlich machen könnten, wenn die freiwillige Rekrutierung nicht ausreichend skaliert.
Diese Position zeigt, dass selbst innerhalb der militärischen Führung die potenziellen quantitativen Grenzen eines rein freiwilligen Systems in einem sich schnell verschlechternden Sicherheitsumfeld erkannt werden.
Sollte das Freiwilligenmodell nicht die erforderlichen Zahlen für eine umfassende Verteidigungsfähigkeit liefern, würde das Militär aus strategischer Notwendigkeit wahrscheinlich einen Übergang zu verpflichtenden Elementen unterstützen, selbst wenn dies Kompromisse bei der individuellen Motivation oder der anfänglichen Einsatzbereitschaft mit sich brächte.
Bis Juli 2025 verzeichnete die Bundeswehr einen deutlichen Zuwachs beim freiwilligen Wehrdienst:
Rund 11 350 junge Menschen leisten derzeit freiwilligen Wehrdienst an der Waffe – ein Anstieg von etwa 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden bis Mitte des Jahres rund 13 750 neue Soldatinnen und Soldaten eingestellt, was einem Plus von 28 Prozent gegenüber 2024 entspricht.
Etwa drei Viertel dieser Neuzugänge entfallen auf den freiwilligen Wehrdienst, was die zunehmende Wirksamkeit der Personaloffensive des Verteidigungsministeriums unterstreicht.
Forderungen der politischen Parteien
Die Debatte um die Wehrpflicht ist ein zentrales Thema in der deutschen Parteienlandschaft, wobei unterschiedliche Ansätze und Prioritäten deutlich werden.
Die Union (CDU/CSU) tritt entschieden für ein verpflichtendes Dienstjahr für alle jungen Menschen ein, unabhängig vom Geschlecht.
Dieses „Dienstjahr“ oder „Gesellschaftsjahr“ soll den Jugendlichen die Wahl lassen, ob sie ihren Dienst bei der Bundeswehr oder in sozialen, kulturellen oder ökologischen Einrichtungen leisten möchten, ähnlich dem früheren Zivildienst.
Die Union spricht von einer „aufwachsenden Wehrpflicht“, bei der nur so viele Personen eingezogen werden, wie es die Streitkräfteplanung erfordert. Sie betonen die Dringlichkeit der Lage angesichts der russischen Bedrohung und fordern schnelle Entscheidungen.
Die SPD verfolgt, im Einklang mit dem Koalitionsvertrag, primär einen freiwilligen Ansatz. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch hat erklärt, dass der Koalitionsvertrag keine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vor der nächsten Bundestagswahl vorsieht.
Stattdessen konzentriert sich die SPD auf die Stärkung bestehender Freiwilligendienste wie das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) sowie auf die Verbesserung der finanziellen Bedingungen für Freiwillige, um diese Dienste attraktiver und zugänglicher zu machen.
Bündnis 90/Die Grünen lehnen einen Pflichtdienst grundsätzlich ab und plädieren für die Schaffung besserer Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement.
Das Konzept eines „Gesellschaftsjahres“, das von der Union favorisiert wird, stellt einen bedeutenden Versuch dar, den Geltungsbereich eines verpflichtenden Dienstes über rein militärische Bedürfnisse hinaus zu erweitern.
Es zielt darauf ab, sowohl den Personalmangel der Bundeswehr als auch breitere gesellschaftliche Vorteile wie den Zusammenhalt, die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und die Behebung von Personalengpässen in sozialen und ökologischen Bereichen zu benennen.
Dies ist ein politischer Kompromiss, der einen Pflichtdienst durch die Option zivilen Engagements gesellschaftlich akzeptabler machen soll, indem er ihn als gesamtgesellschaftlichen Beitrag rahmt.
Jedoch birgt dieses Modell neue Komplexitäten, einschließlich der Verwaltung verschiedener Diensttypen, der Sicherstellung der „Dienstgerechtigkeit“ zwischen militärischem und zivilem Dienst und der weiterhin bestehenden Notwendigkeit einer Grundgesetzänderung, um Frauen in einen verpflichtenden Dienst einzubeziehen.
Die politische Diskussion dreht sich somit nicht nur um die militärische Einsatzbereitschaft, sondern auch um die Definition bürgerschaftlicher Pflicht und die Rolle des Staates im Leben des Einzelnen im modernen Deutschland.
Das schwedische Modell als Referenz und seine Übertragbarkeit
Das schwedische Modell der Wehrpflicht, das 2017 wieder eingeführt wurde, wird in der deutschen Debatte häufig als potenzielles Vorbild genannt. Dieses Modell sieht vor, dass alle 18-Jährigen, sowohl Männer als auch Frauen, einen Fragebogen ausfüllen müssen, der ihre Motivation, Fähigkeiten und Interessen abfragt.
Ein entscheidendes Merkmal des schwedischen Modells ist, dass nur ein kleiner, selektiv ausgewählter Prozentsatz derjenigen, die Interesse bekunden und in einem anschließenden Assessment als geeignet befunden werden, tatsächlich zum Dienst eingezogen wird.
Beispielsweise wurden aus einem Geburtsjahrgang von 93.000 Personen nur 11.000 zur Musterung eingeladen, und letztlich nur 4.000 tatsächlich eingezogen. Der Dienst dauert in der Regel zwölf Monate.
Eine wichtige aktuelle Entwicklung ist, dass Schweden erstmals Personen gegen ihren Willen rekrutieren musste, da die Anzahl der Freiwilligen nicht ausreichte, um den Verteidigungsbedarf zu decken.
Dies verdeutlicht eine potenzielle Einschränkung eines primär auf Freiwilligkeit basierenden, selektiven Modells in einem Umfeld mit hohem Sicherheitsbedarf.
Verteidigungsminister Pistorius hat das schwedische Modell in Betracht gezogen, aber auch die Bedenken geäußert, dass dessen selektiver Charakter das Problem der „Wehrgerechtigkeit“ wieder aufleben lassen könnte, das zur Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland im Jahr 2011 beigetragen hat.
Aus rechtlicher Sicht würde die Einführung eines ähnlichen Modells in Deutschland für Männer lediglich ein einfaches Gesetz zur Reaktivierung der Wehrpflicht erfordern. Eine Ausweitung der verpflichtenden Befragung oder der Dienstpflicht auf Frauen würde jedoch eine Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes notwendig machen, da die aktuellen Verfassungsbestimmungen Frauen nicht zum Dienst an der Waffe verpflichten.
Das schwedische Modell versucht, freiwilliges Engagement mit einer verpflichtenden Anfangsbewertung und selektiver Einberufung zu verbinden. Die Tatsache, dass Schweden kürzlich auf unfreiwillige Einberufungen zurückgreifen musste , und die Bedenken von Minister Pistorius bezüglich der „Wehrgerechtigkeit“ zeigen jedoch ein grundlegendes Dilemma auf.
Wenn nur ein kleiner, willkürlich ausgewählter Teil eines Jahrgangs zum Dienst gezwungen wird, untergräbt dies das Prinzip der gleichen Lastenverteilung, das ein wesentlicher Grund für die ursprüngliche Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland war. Dies könnte zu erneuten öffentlichen und rechtlichen Auseinandersetzungen über die Fairness des Systems führen.
Obwohl das schwedische Modell eine flexible Alternative zur vollständigen Massenwehrpflicht bietet, löst es die zugrunde liegende Spannung zwischen Zwangsdienst und individueller Gerechtigkeit nicht vollständig auf.
Die Übernahme eines solchen Modells in Deutschland würde wahrscheinlich die Debatte um die „Wehrgerechtigkeit“ neu entfachen und könnte auf erheblichen öffentlichen und rechtlichen Widerstand stoßen, insbesondere wenn die Auswahlkriterien nicht als transparent und gerecht empfunden werden oder wenn unfreiwillige Einberufungen zur Regel werden.
Dies unterstreicht, dass selbst selektive Modelle Schwierigkeiten haben könnten, den Personalbedarf ohne ein Element des Zwangs zu decken, und dass die Art der Auswahl ebenso entscheidend ist wie die Entscheidung für oder gegen einen Pflichtdienst.
Zivilgesellschaftliche Perspektiven
Die Debatte um die Wehrpflicht wird auch von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteuren intensiv begleitet, die unterschiedliche Standpunkte einnehmen:
Jugendverbände:
Der Bundesjugendring (DBJR) begrüßt zwar, dass das von Verteidigungsminister Pistorius vorgestellte Modell überwiegend auf Freiwilligkeit basiert, lehnt jedoch jede Form von Verpflichtung – jetzt und in Zukunft – kategorisch ab.
Der DBJR kritisiert zudem den Prozess der Entscheidungsfindung, da junge Menschen als Betroffene und Experten ihrer eigenen Lebenswelt nicht ausreichend einbezogen wurden. Sie fordern stattdessen eine Stärkung und bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung bestehender Freiwilligendienste wie des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) und des Bundesfreiwilligendienstes (BFD), um diese als attraktive Alternativen zu erhalten.
Gewerkschaften und Wirtschaftsvertreter:
Aus wirtschaftlicher Sicht werden Bedenken geäußert, dass eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, insbesondere bei kurzen Dienstzeiten, den Fachkräftemangel verstärken und die Volkswirtschaft erheblich belasten könnte.
Einige Experten argumentieren, dass eine Berufsarmee effizienter sei und die Wehrpflicht als Modernisierungshindernis wirke. Es wird betont, dass nur eine starke Wirtschaft die notwendigen Verteidigungsausgaben ermöglichen kann.
Kirchen:
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht als zu kurz gegriffen an. Die frühere Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, forderte mehr Raum für die Perspektiven junger Menschen in der politischen Auseinandersetzung. Die Kirchen betonen generell die Bedeutung von Friedensdiensten und unterstützen das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen.
Militärische Erfordernisse und Personalbedarf der Bundeswehr
Die Bundeswehr steht vor erheblichen Herausforderungen bei der Erfüllung ihrer Personalziele, die durch die aktuelle sicherheitspolitische Lage und die Notwendigkeit der Landes- und Bündnisverteidigung noch verschärft werden
Aktuelle Personalstärke und Zielvorgaben
Zum 30. April 2025 betrug die aktive Personalstärke der Bundeswehr rund 182.496 Soldaten, ergänzt durch 80.770 Zivilisten.
Auffällig ist, dass die Zahl der Soldaten im Jahr 2024 sogar leicht zurückgegangen ist , trotz der „Zeitenwende“ und verstärkter Anstrengungen zur Personalgewinnung. Die Bundeswehr verfügt zudem über etwa 34.600 beorderte Reservisten und eine allgemeine Reserve von ca. 930.000 dienstpflichtigen Personen.
Das offizielle Ziel der Bundeswehr ist es, die aktive Personalstärke bis 2031 auf rund 203.000 Soldaten zu erhöhen. Diese Zielvorgabe wird jedoch von Militärexperten weithin als unzureichend angesehen.
Die frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, argumentierte, dass Deutschland „mindestens 100.000 mehr“ Soldaten benötigen würde, während andere Experten sogar eine Verdopplung der aktuellen Zahlen für erforderlich halten.
André Wüstner, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, schätzt den tatsächlichen Bedarf an aktiven Soldaten und Reservisten auf „über 400.000“.
Intern steht die Bundeswehr vor erheblichen Personalengpässen: Ende 2024 waren 28% der Positionen in den unteren Mannschaftsdienstgraden und fast 20% der erforderlichen Offizierspositionen unbesetzt. Hinzu kommt, dass die Truppe altert; das Durchschnittsalter stieg von 32,4 Jahren im Jahr 2019 auf 34 Jahre Ende 2024.
Die dargestellten Zahlen verdeutlichen ein erhebliches und wachsendes Defizit zwischen der aktuellen Personalstärke der Bundeswehr, den offiziellen Wachstumszielen und den deutlich höheren Zahlen, die von Militärexperten für eine effektive Landes- und Bündnisverteidigung als notwendig erachtet werden.
Die Tatsache, dass die Bundeswehr trotz der „Zeitenwende“ und erhöhter Anstrengungen weiterhin schrumpft und altert , während gleichzeitig ein hoher Anteil an Dienstposten unbesetzt bleibt , unterstreicht die Dringlichkeit der Lage.
Diese quantitativen und demografischen Herausforderungen sind nicht nur ein Problem der Rekrutierung, sondern auch der Bindung von Personal und der Attraktivität des Dienstes. Ohne eine signifikante Erhöhung der Personalzahlen ist die Bundeswehr in ihrer Fähigkeit, die gestiegenen Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung zu erfüllen, stark eingeschränkt.
Technische und personelle Herausforderungen bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht
Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht oder eines umfassenden Dienstmodells stellt die Bundeswehr vor immense technische und personelle Herausforderungen, die über die reine Rekrutierung hinausgehen.
Infrastruktur und Kasernenkapazitäten
Ein wesentliches Hindernis ist der marode Zustand und die unzureichende Kapazität der militärischen Infrastruktur. Die frühere Wehrbeauftragte Eva Högl beklagte den desaströsen Zustand vieler Kasernen und Liegenschaften, wobei jede zweite Kaserne nicht den selbst gesetzten Standards entspricht und neun Prozent der Unterkünfte derzeit überhaupt nicht nutzbar sind. Der Sanierungsstau im Infrastrukturbereich beläuft sich auf einen Gesamtinvestitionsbedarf von mehr als 67 Milliarden Euro bis in die 2040er Jahre.
Die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 führte zum Verkauf zahlreicher Kasernen und Grundstücke sowie zur Schließung der Kreiswehrersatzämter. Dies hat die Bundeswehr heute ohne die notwendigen Strukturen für eine Wehrpflicht nach altem Muster zurückgelassen.
Für eine freiwillige Wehrpflicht von beispielsweise 5.000 zusätzlichen Dienstleistenden jährlich wären je nach Verteilung und Nutzung bereits 2,5 bis 5 Kasernen nötig, während eine Verdopplung auf 10.000 Freiwillige drei bis sechs neue Kasernen erfordern könnte.
Eine flächendeckende Wehrpflicht für einen ganzen Jahrgang würde die aktuellen Kapazitäten bei Weitem überfordern.
Der Zustand der Infrastruktur stellt einen primären Engpass dar. Die maroden und unzureichenden Kasernen und Ausbildungseinrichtungen sind nicht nur ein logistisches Problem, sondern auch ein Attraktivitätsfaktor für potenzielle Rekruten.
Die Notwendigkeit massiver Investitionen und die lange Dauer von Infrastrukturprojekten bedeuten, dass selbst bei einer politischen Entscheidung zur Wiedereinführung der Wehrpflicht die physischen Voraussetzungen für die Unterbringung und Ausbildung einer großen Zahl von Rekruten erst über Jahre hinweg geschaffen werden müssten. Dies verzögert die Umsetzung erheblich und bindet erhebliche finanzielle Ressourcen.
Ausbildungskapazitäten und Ausbildermangel
Neben der Infrastruktur mangelt es der Bundeswehr auch an ausreichend qualifizierten Ausbildern. Dies ist ein kritisches Problem, da eine Wiedereinführung der Wehrpflicht eine große Anzahl neuer Rekruten erfordern würde, die umfassend ausgebildet werden müssen.
Ein weiteres Problem ist die hohe Abbrecherquote bei den Freiwilligen: Jeder Vierte verlässt die Bundeswehr innerhalb von sechs Monaten wieder. Ein Grund dafür wird im Wunsch der jungen Menschen gesehen, in der Nähe ihres Heimatortes eingesetzt zu werden. Dies deutet auf mangelnde Flexibilität und Attraktivität der Dienstbedingungen hin.
Die moderne Kriegsführung erfordert zudem hochspezialisierte Fähigkeiten im Umgang mit Drohnen, Künstlicher Intelligenz (KI) und Cyber-Technologien.
Eine Wehrpflicht müsste daher nicht nur grundlegende militärische Fähigkeiten vermitteln, sondern auch eine Anpassung der Ausbildung an diese neuen technologischen Erfordernisse gewährleisten, einschließlich des Einsatzes und der Abwehr von Drohnen, Tarnmaßnahmen und elektronischer Kriegsführung.
Die Herausforderung der Ausbildung und Bindung von Personal geht über die bloße Rekrutierung hinaus. Die Bundeswehr muss nicht nur genügend Personen gewinnen, sondern diese auch effektiv ausbilden und langfristig an sich binden, insbesondere in den für die moderne Kriegsführung entscheidenden Spezialbereichen.
Der Mangel an Ausbildern und die hohe Abbrecherquote verdeutlichen, dass eine quantitative Steigerung des Personals ohne gleichzeitige Verbesserung der Ausbildungsqualität, der Dienstbedingungen und der Karriereperspektiven nicht nachhaltig wäre.
Dies erfordert eine umfassende Reform der Personalpolitik, die sowohl die Rekrutierung als auch die Entwicklung und Bindung von qualifiziertem Personal in den Blick nimmt.
Kosten der Wiedereinführung
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde erhebliche gesamtwirtschaftliche Kosten verursachen. Eine Studie des Ifo-Instituts vom Juli 2024 schätzt, dass die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu einem Rückgang des privaten Konsums von bis zu 79 Milliarden Euro im 100%-Szenario führen könnte.
Diese drastischen Folgen werden auf die Kombination aus niedrigen Gehältern und der Verpflichtung für ein Jahr zurückgeführt, die dazu führt, dass Wehrpflichtige nur verzögert mit Bildungsinvestitionen und dem Vermögensaufbau beginnen können.
Die Differenz zwischen dem gezahlten Wehrsold und dem entgangenen Lebenseinkommen kann als implizite Einkommensteuer für die Wehrpflichtigen betrachtet werden.
Im Gegensatz dazu würde eine „Marktlösung“ mit höheren Gehältern für Wehrdienstleistende die Kosten für den privaten Konsum deutlich reduzieren (z.B. 56 Milliarden Euro im 100%-Szenario) und wäre aus Effizienzgründen zu bevorzugen.
Das Ifo-Institut schätzt die volkswirtschaftlichen Kosten einer Wiedereinführung der Wehrpflicht oder eines sozialen Pflichtjahres auf bis zu 70 Milliarden Euro jährlich.
Die Bundeswehr hat 2022 ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro erhalten, das größtenteils bereits investiert wurde, um die Modernisierung zu finanzieren.
Der Verteidigungsetat für 2024 betrug 51,95 Milliarden Euro, mit geplanten 71,75 Milliarden Euro für 2025. Für die nächsten 15 Jahre wird ein Gesamtinvestitionsbedarf von rund 470 Milliarden Euro für die Bundeswehr geschätzt, ergänzt durch Betriebskosten von weiteren 230 Milliarden Euro bis 2040.
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht birgt eine erhebliche wirtschaftliche Belastung, die weit über die direkten Militärausgaben hinausgeht. Die volkswirtschaftlichen Kosten, insbesondere die Opportunitätskosten für die Wehrpflichtigen durch entgangene Bildung und Karrierechancen, sind beträchtlich.
Dies führt zu einer Debatte über die Effizienz verschiedener Modelle: Während eine Wehrpflicht die direkten staatlichen Kosten senken könnte, indem sie auf Zwangsarbeit und geringere Gehälter setzt, könnten die gesamtwirtschaftlichen Kosten durch eine „Marktlösung“ mit attraktiveren Gehältern für Freiwillige effizienter gestaltet werden.
Diese Analyse legt nahe, dass die Finanzierung einer stärkeren Bundeswehr nicht nur eine Frage des Budgets ist, sondern auch der wirtschaftlichen Effizienz und der fairen Verteilung der Lasten auf die Gesellschaft und die betroffenen jungen Menschen.
Rechtliche Rahmenbedingungen und Herausforderungen
Die rechtliche Grundlage für die Wehrpflicht in Deutschland ist komplex und birgt spezifische Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Geschlechter und menschenrechtliche Aspekte.
Grundgesetz und Wehrpflichtgesetz: Der aktuelle Stand
Die Wehrpflicht in Deutschland wurde zum 1. Juli 2011 ausgesetzt, aber nicht abgeschafft. Sie ist weiterhin in Artikel 12a des Grundgesetzes (GG) verankert. Dies bedeutet, dass eine Reaktivierung der Wehrpflicht für Männer durch ein einfaches Gesetz des Bundestages mit einfacher Mehrheit jederzeit möglich ist s.o.
Aktuell ist die Wehrpflicht auf den „Spannungs- und Verteidigungsfall“ beschränkt. In einem solchen Fall könnten Männer zwischen 18 und 60 Jahren zum Wehrdienst eingezogen werden.
Der Grundwehrdienst dauerte vor der Aussetzung sechs Monate und Wehrübungen grundsätzlich höchstens drei Monate.
4.2 Gleichbehandlung von Frauen und Männern: Verfassungsrechtliche Hürden
Ein zentrales rechtliches Problem bei einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht ist die Frage der Gleichbehandlung von Frauen und Männern.
Nach dem aktuellen Wortlaut des Grundgesetzes (Art. 12a Abs. 1 GG) können nur Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden. Frauen dürfen „auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden“ (Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG n.F.).
Zwar können Frauen seit 2001 freiwillig in der Bundeswehr dienen, aber eine Zwangsverpflichtung ist ausgeschlossen.
Eine verpflichtende Dienstpflicht, die auch Frauen einschließt, würde eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag für eine Grundgesetzänderung erfordern.
Die verfassungsrechtliche Situation der Gleichbehandlung der Geschlechter ist ein erhebliches Hindernis für die Ausweitung eines Pflichtdienstes auf Frauen. Der Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 3 GG verbietet die Benachteiligung oder Bevorzugung aufgrund des Geschlechts.
Die Wehrpflicht nur für Männer wird als verfassungsrechtliche Bereichsausnahme zu den besonderen Gleichheitssätzen angesehen. Eine Ausweitung der Wehrpflicht auf Frauen würde eine Verfassungsänderung erforderlich machen, da die derzeitige Unterscheidung zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf den Dienst mit der Waffe keine biologischen Unterschiede benennt, die eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen würden.
Dies macht die Einführung eines umfassenden „Gesellschaftsjahres“, das alle Geschlechter gleichermaßen betrifft, zu einem komplexen verfassungsrechtlichen Unterfangen.
Feministische Juristinnen und andere Kritikerinnen weisen darauf hin, dass die ausschließliche Wehrpflicht für Männer eine Form des Sexismus darstellt und die gesetzlich verankerte Ungleichbehandlung verteidigt wird. Insbesondere wird kritisiert, dass der sogenannte „Gender Care Gap“ – die Tatsache, dass Frauen täglich deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten – als Rechtfertigung für den Freiheitsentzug und den Zwangsdienst ausschließlich für Männer herangezogen wird. Diese Argumentation wird von einigen als zynisch empfunden, da sie die Lastenverteilung im Kontext von potenzieller Gefahr und Freiheitsentzug ungleich behandelt. Es wird argumentiert, dass wahre Gleichstellung eine gleiche Verpflichtung für alle Geschlechter erfordern würde, zumal Frauen das Wahlrecht ohne eine entsprechende Pflicht erhalten hätten, im Gegensatz zu Männern, bei denen es historisch als Ausgleich zur Wehrpflicht galt.
Menschenrechtliche Aspekte und Zwangsarbeitsverbot
Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Art. 4 Abs. 3 GG) ist in Deutschland seit 1949 verankert und würde auch bei einer Reaktivierung der Wehrpflicht bestehen bleiben, wobei ein Ersatzdienst geleistet werden müsste.
Eine weitere menschenrechtliche Dimension ist das Verbot der Zwangsarbeit gemäß Artikel 12 des Grundgesetzes und Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Menschenrechtskonvention verbietet Zwangsarbeit, schließt jedoch „Dienstleistungen, die zu den üblichen Bürgerpflichten gehören“ oder bei Notständen verlangt werden, davon aus.
In der Vergangenheit wurde die Wehrpflicht in Deutschland als eine solche „übliche Bürgerpflicht“ interpretiert. Die Debatte, ob ein verpflichtender Dienst in der heutigen Zeit als Zwangsarbeit angesehen werden könnte, ist jedoch weiterhin präsent. Kritiker argumentieren, dass ein Zwangsdienst einen massiven Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt.
Die Notwendigkeit des Staates, seine Verteidigungsfähigkeit zu gewährleisten, steht im Spannungsfeld mit den individuellen Freiheitsrechten der Bürger.
Die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist ein wichtiger Mechanismus, um dieses Gleichgewicht zu wahren. Die rechtliche Bewertung, ob ein wieder eingeführter Pflichtdienst als „Zwangsarbeit“ im Sinne der Menschenrechtskonvention interpretiert werden könnte, hängt von der konkreten Ausgestaltung und der allgemeinen Überzeugung zum jeweiligen Zeitpunkt ab. Die Wahrung dieser Grundrechte ist entscheidend für die demokratische Legitimität eines Wehrdienstmodells und erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen staatlicher Notwendigkeit und individueller Freiheit.
Militärstrategische und lagespezifische Notwendigkeiten
Die Neubewertung der Wehrpflicht in Deutschland ist untrennbar mit der sich dramatisch verändernden militärstrategischen Lage und der direkten Bedrohung durch Russland verbunden.
Die russische Bedrohung: Einschätzung und Zeitrahmen
Russland wird von deutschen Sicherheitsbehörden und Militäranalysten als „existenzielles Risiko“ für Deutschland und Europa eingestuft. Westliche Nachrichtendienste warnen, dass Russland sich bis 2030 auf einen großflächigen Konflikt mit der NATO vorbereiten könnte. Einige Experten sehen sogar die Möglichkeit eines Krieges mit Russland bereits im Jahr 2027.
Russland rüstet seine Streitkräfte massiv auf und stellt seine Wirtschaft auf Kriegsproduktion um.
Bis 2025 wird erwartet, dass Russland über 1,5 Millionen Soldaten unter Waffen hat und sein Verteidigungsbudget über 6% des BIP erreichen wird, was die kombinierten Verteidigungsausgaben vieler NATO-Staaten übersteigt.
Moskau baut gezielt Kriegserfahrung auf und entwickelt seine Streitkräfte weiter, insbesondere im Westen Russlands an den NATO-Grenzen. Neben konventionellen Bedrohungen intensiviert Russland auch hybride Operationen, darunter Sabotage, Spionage und Subversion, die in Europa dramatisch zugenommen haben.
Die Einschätzung der russischen Bedrohung als unmittelbar und umfassend unterstreicht die Dringlichkeit für Deutschland und die NATO, ihre Verteidigungsfähigkeiten rasch zu stärken.
Die umfassende Vorbereitung Russlands auf einen möglichen Konflikt, einschließlich des Aufbaus von Personal und Material sowie der Durchführung hybrider Operationen, verkürzt das Zeitfenster für die Anpassung der eigenen Verteidigungsstrukturen erheblich.
Diese Lage erfordert nicht nur eine schnelle Aufrüstung, sondern auch eine Neubewertung der personellen Stärke und Resilienz der Streitkräfte, um der Bedrohung wirksam begegnen zu können.
Militärstrategische Bedeutung der Wehrpflicht für Landes- und Bündnisverteidigung
Angesichts der neuen Bedrohungslage hat die Landes- und Bündnisverteidigung wieder oberste Priorität für die Bundeswehr. In diesem Kontext gewinnt die Wehrpflicht als Mittel zur Sicherstellung einer ausreichenden Personalstärke und zur Stärkung der gesamtgesellschaftlichen Resilienz an Bedeutung.
Eine reaktivierte Wehrpflicht könnte einen großen Pool an ausgebildeten Reservisten bereitstellen,die für die territoriale Verteidigung und den Heimatschutz unerlässlich wären.
Verteidigungsminister Pistorius spricht davon, die „Gesellschaft kriegstüchtig“ zu machen, was auch eine Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung gegenüber bewaffneten Angriffen und Krisen bedeutet. Das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr wurde eingerichtet, um die Führung aller Bundeswehraktivitäten im Heimatschutz und die Rolle Deutschlands als „Drehscheibe“ für NATO-Verlegungen zu gewährleisten.
Die Debatte über die Wehrpflicht im militärstrategischen Kontext dreht sich auch um das Verhältnis von Massenheeren, die durch Wehrpflicht ermöglicht werden, und hochspezialisierten Berufsarmeen. Während Massenheere für großflächige Kriege in der Vergangenheit entscheidend waren, erfordert die moderne Kriegsführung eine hohe technologische Kompetenz und spezialisierte Kräfte.
Gleichzeitig betonen Befürworter der Wehrpflicht, dass sie die Verankerung der Streitkräfte in der Gesellschaft fördert und die „Innere Führung“ stärkt, was für die Resilienz einer Nation im Konfliktfall von Bedeutung ist. Die NATO legt zudem großen Wert auf Interoperabilität, also die Fähigkeit der Streitkräfte, effektiv zusammenzuarbeiten und Kräfte zu bündeln.
Der strategische Wandel von Expeditionseinsätzen hin zur kollektiven Verteidigung erfordert eine Bundeswehr, die sowohl in der Breite als auch in der Tiefe leistungsfähig ist. Dies bedeutet nicht nur eine hochprofessionelle Spitze, sondern auch eine breite Basis an ausgebildetem Personal für die Landesverteidigung und die Aufrechterhaltung der nationalen Resilienz.
Eine Wehrpflicht könnte die erforderliche Quantität an Personal liefern, um die Verteidigungsfähigkeit im eigenen Land und im Bündnis zu gewährleisten. Dies würde die Gesellschaft stärker in die Verteidigungsanstrengungen einbinden und die Fähigkeit zur Abschreckung potenzieller Aggressoren erhöhen.
Qualität vs. Quantität in einer modernen Bundeswehr
Die Diskussion um die Wehrpflicht ist eng mit der Frage verbunden, ob eine moderne Armee eher auf Qualität (hochspezialisierte Berufssoldaten) oder Quantität (breite Basis durch Wehrpflicht) setzen sollte.
Befürworter einer Berufsarmee argumentieren, dass diese effizienter ist, da sie eine höhere individuelle Effizienz der Soldaten aufweist und im Verhältnis von Ausbildungs- zu Einsatzzeiten Vorteile bietet. Moderne Kriegsführung, insbesondere im 21. Jahrhundert, wird zunehmend durch technologische Mittel wie Drohnen, Künstliche Intelligenz und Robotik bestimmt, was gut ausgebildete Spezialisten erfordert.
Es wird betont, dass der Ausbau zu einer „hochprofessionellen Hightech-Armee“ gut ausgebildete Spezialisten für komplexe Waffensysteme und Cyber-Aufklärung benötigt.
Andererseits argumentieren Befürworter der Wehrpflicht, dass sie eine größere Anzahl von Soldaten für Massenarmeen bereitstellen kann, die für große Kriege notwendig sein könnten, auch wenn diese nicht so gut ausgebildet sind wie Berufssoldaten.
Die Wehrpflicht kann zudem eine breitere Mischung aus allen Teilen der Gesellschaft in die Bundeswehr bringen , was dazu beitragen kann, rechts-nationalistischen Tendenzen entgegenzuwirken und die Verankerung der Bundeswehr in der Zivilgesellschaft zu stärken.
Die sich wandelnde Natur der Kriegsführung stellt die Bundeswehr vor eine doppelte Anforderung:
Sie benötigt sowohl eine ausreichende Personalstärke für die umfassende Landesverteidigung als auch hochqualifizierte Spezialisten für die technologisch anspruchsvollen Bereiche der modernen Kriegsführung.
Die Entscheidung zwischen Qualität und Quantität ist somit keine Entweder-oder-Frage, sondern eine Abwägung, wie beide Aspekte optimal miteinander verbunden werden können. Eine Wehrpflicht könnte die breite Basis schaffen, während gleichzeitig in die Spezialausbildung und technologische Ausstattung investiert werden muss, um den Anforderungen zukünftiger Konflikte gerecht zu werden.
Die Herausforderung besteht darin, ein Modell zu finden, das sowohl die quantitativen Bedürfnisse für die territoriale Verteidigung als auch die qualitativen Anforderungen an eine moderne, technologisch fortschrittliche Armee erfüllt.
Aktuelle Möglichkeiten und Herausforderungen
Die Bundeswehr steht vor der Aufgabe, ihren Personalbestand signifikant zu erhöhen und gleichzeitig ihre Fähigkeiten an die Erfordernisse der modernen Kriegsführung anzupassen.
Maßnahmen zur Personalgewinnung und -bindung
Derzeit setzt die Bundeswehr auf den Freiwilligen Wehrdienst (FWD), der eine Dienstzeit zwischen sieben und 23 Monaten ermöglicht. Um diesen attraktiver zu gestalten, wurde das monatliche Militärgehalt für die niedrigsten Ränge seit dem 1. Januar 2020 auf 1.500 Euro erhöht, mit gestaffelten Beträgen bis zu 1.900 Euro.
Trotz dieser Maßnahmen und gestiegener Bewerberzahlen im Jahr 2024 gibt es eine hohe Abbrecherquote: Jeder Vierte verlässt die Bundeswehr innerhalb von sechs Monaten wieder. Ein Grund dafür ist der Wunsch, in der Nähe des Heimatortes eingesetzt zu werden. Dies deutet auf Defizite bei den Arbeitsbedingungen und der Vereinbarkeit von Familie und Dienst hin.
Um die Reserve zu stärken, fordert der Reservistenverband eine Überprüfung der Einsatzbereitschaft aller 900.000 ehemaligen Soldaten und Wehrpflichtigen, die den Status Reservist haben. Die Bundeswehr versucht zudem, ausscheidende Soldaten durch Angebote für den freiwilligen Reservistendienst zu gewinnen, unter anderem durch die „Grundbeorderung“.
Die Bewältigung des Personalmangels erfordert einen vielschichtigen Ansatz, der über die bloße Wiedereinführung der Wehrpflicht hinausgeht. Es ist entscheidend, nicht nur neue Rekruten zu gewinnen, sondern diese auch langfristig zu binden.
Dies bedeutet, die Attraktivität des Dienstes durch verbesserte Arbeitsbedingungen, faire Bezahlung, klare Karrierepfade und eine bessere Vereinbarkeit von Dienst und Privatleben zu steigern. Die hohe Abbrecherquote unter Freiwilligen zeigt, dass die Bundeswehr ihre internen Strukturen und Angebote anpassen muss, um den Erwartungen junger Menschen gerecht zu werden.
Ein starkes Reservekonzept, das ehemalige Soldaten aktiv einbindet und ihre Fähigkeiten nutzt, ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Personalstrategie für eine moderne Verteidigungsfähigkeit.
Technologische Anpassungen und Investitionen
Die Bundeswehr befindet sich in einem umfassenden Modernisierungsprozess, der durch das 2022 eingerichtete Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro finanziert wird. Dieses Sondervermögen ist bereits zu einem überwiegenden Teil investiert worden, unter anderem in F-35-Kampfjets, schwere Transporthubschrauber, neue Panzer und moderne Luftverteidigungssysteme wie Arrow 3 und Patriot.
Trotz dieser Investitionen bestehen weiterhin erhebliche Defizite, insbesondere bei Drohnen und der Drohnenabwehr, Satelliten und der Flugabwehr sowie der Digitalisierung. Die Bundeswehr muss ihre Beschaffungsprozesse beschleunigen und die Industrie von der „Manufaktur“ zur „Serienproduktion“ übergehen, um die benötigte Ausrüstung rechtzeitig zu erhalten. Der Gesamtinvestitionsbedarf der Bundeswehr bis 2040 wird auf rund 470 Milliarden Euro geschätzt, zusätzlich zu den Betriebskosten.
Die Modernisierung der Bundeswehr für zukünftige Konflikte ist von entscheidender Bedeutung, da technologische Überlegenheit ein wesentlicher Faktor in der modernen Verteidigung ist.
Die massiven Investitionen und die Notwendigkeit, die Rüstungsindustrie auf Serienproduktion umzustellen, zeigen das Ausmaß der Herausforderung. Die Fähigkeit, Drohnen, KI und Cyber-Fähigkeiten zu integrieren, ist entscheidend, um den asymmetrischen Bedrohungen und den Anforderungen einer hochtechnisierten Kriegsführung gerecht zu werden.
Die technologische Anpassung ist ein kontinuierlicher Prozess, der erhebliche und nachhaltige finanzielle Mittel sowie eine effiziente Beschaffungs- und Innovationskultur erfordert.
Ausbilder-Mangel
Der Mangel an ausreichend qualifiziertem Personal zur Ausbildung neuer Rekruten in der Bundeswehr, der eine Herausforderung für die Steigerung der Personalstärke darstellt.
Aussetzung der Wehrpflicht
Die Entscheidung, die Einberufung zum Grundwehrdienst im Frieden seit dem 1. Juli 2011 nicht mehr durchzuführen. Die Wehrpflicht bleibt rechtlich bestehen, wird aber nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall reaktiviert.
Freiwilliger Wehrdienst (FWD)
Eine Möglichkeit für junge Männer und Frauen, freiwillig Militärdienst in der Bundeswehr zu leisten, mit einer Dienstzeit zwischen sieben und 23 Monaten.
Generalinspekteur der Bundeswehr
Der höchste Soldat der Bundeswehr, verantwortlich für die militärische Führung und die Gesamtkonzeption der Streitkräfte.
Gesellschaftsjahr
Ein vorgeschlagenes Modell eines verpflichtenden Dienstes für alle jungen Menschen (Männer und Frauen), der wahlweise bei der Bundeswehr oder in sozialen, kulturellen oder ökologischen Einrichtungen abgeleistet werden könnte.
Grundgesetz (GG) Artikel 12a
Der Artikel im deutschen Grundgesetz, der die Wehr- und Dienstpflicht regelt. Er erlaubt die Verpflichtung von Männern zum Dienst in den Streitkräften und schließt eine Verpflichtung von Frauen zum Dienst mit der Waffe aus.
Hybride Operationen
Verdeckte oder nicht-militärische Maßnahmen, die von Staaten eingesetzt werden, um Einfluss zu nehmen oder zu destabilisieren, wie Sabotage, Spionage und Subversion. Russland intensiviert solche Operationen in Europa.
Infrastruktur (Bundeswehr)
Die Gesamtheit der militärischen Einrichtungen wie Kasernen, Ausbildungsstätten und technische Anlagen. Ein erheblicher Sanierungsstau und unzureichende Kapazitäten stellen eine Herausforderung dar.
Interoperabilität (NATO)
Die Fähigkeit der Streitkräfte von NATO-Mitgliedstaaten, effektiv zusammenzuarbeiten und ihre Kräfte zu bündeln, um gemeinsame Operationen durchzuführen. Dies ist entscheidend für die kollektive Verteidigung.
Kriegsdienstverweigerung
Das in Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes verankerte Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. Dies erfordert in der Regel die Ableistung eines Ersatzdienstes.
Kriegstüchtigkeit / Verteidigungsbereitschaft
Von Verteidigungsminister Boris Pistorius verwendete Begriffe, die die Notwendigkeit einer robusten militärischen Handlungsfähigkeit der Bundeswehr betonen, um der veränderten Bedrohungslage gerecht zu werden.
Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV)
Die primäre Aufgabe der Bundeswehr, die Verteidigung des eigenen Staatsgebiets und der NATO-Bündnispartner gegen Angriffe. Diese Priorität wurde mit der Zeitenwende wieder in den Vordergrund gerückt.
Neuer Wehrdienst / Auswahlwehrdienst (Pistorius-Modell)
Ein von Verteidigungsminister Boris Pistorius vorgeschlagenes Modell für einen Wehrdienst, das auf Freiwilligkeit basiert, aber eine verpflichtende Befragung für Männer vorsieht, um ein Lagebild über das Rekrutierungspotenzial zu erhalten.
Personalstärke Bundeswehr
Die aktuelle Anzahl der aktiven Soldaten und Zivilisten in der Bundeswehr. Die Bundeswehr strebt eine Erhöhung der Personalstärke an, um den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden.
Qualität vs. Quantität (Bundeswehr)
Die Debatte, ob eine moderne Armee primär auf hochspezialisierte Berufssoldaten (Qualität) oder eine breite Basis durch Wehrpflicht (Quantität) setzen sollte, um den Anforderungen der modernen Kriegsführung gerecht zu werden.
Reservisten / Reserve
Ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige, die im Bedarfsfall zur Verstärkung der aktiven Truppe oder für Aufgaben im Heimatschutz herangezogen werden können. Eine starke Reserve gilt als entscheidend für die Verteidigungsfähigkeit.
Russische Bedrohung
Die von deutschen Sicherheitsbehörden und Militäranalysten als „existenzielles Risiko“ für Deutschland und Europa eingestufte Gefahr, die von Russlands militärischer Aufrüstung und aggressiver Außenpolitik ausgeht.
Schwedisches Modell
Ein Wehrdienstmodell, das 2017 in Schweden wieder eingeführt wurde. Es basiert auf einer verpflichtenden Erfassung aller 18-Jährigen, wobei jedoch nur ein kleiner, selektiver Teil der Interessierten und Geeigneten tatsächlich zum Dienst eingezogen wird.
Sondervermögen Bundeswehr
Ein 2022 eingerichteter Fonds in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Modernisierung und besseren Ausstattung der Bundeswehr.
Spannungs- und Verteidigungsfall
Ein im Grundgesetz geregelter Zustand, bei dem die Bundesrepublik angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. In diesem Fall kann die Wehrpflicht reaktiviert werden.
Territoriales Führungskommando der Bundeswehr
Eine 2022 eingerichtete Kommandoeinheit, die die Führung aller Bundeswehraktivitäten im Heimatschutz auf deutschem Territorium übernimmt und die Resilienz Deutschlands bei Krisen und im Verteidigungsfall stärkt.
Wehrgerechtigkeit
Das Prinzip, dass die Lasten des Wehrdienstes gerecht auf alle wehrpflichtigen Bürger verteilt werden sollten. Eine ungleiche Behandlung oder willkürliche Auswahl kann zu Unmut und rechtlichen Problemen führen.
Wehrpflicht
Die gesetzliche Verpflichtung von Bürgern, Militärdienst zu leisten. In Deutschland ist sie seit 2011 ausgesetzt, aber nicht abgeschafft und in Artikel 12a des Grundgesetzes verankert.
Zeitenwende
Ein von Bundeskanzler Olaf Scholz geprägter Begriff, der eine grundlegende Neuausrichtung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beschreibt.
Zivilgesellschaftliche Akteure
Organisationen und Gruppen außerhalb staatlicher Strukturen, die sich in die Debatte um die Wehrpflicht einbringen, wie Jugendverbände, Gewerkschaften und Kirchen, die unterschiedliche Perspektiven und Forderungen vertreten.
Zwangsarbeitsverbot
Das in Artikel 12 des Grundgesetzes und Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Verbot von Zwangsarbeit. Die Wehrpflicht wird historisch als „übliche Bürgerpflicht“ davon ausgenommen.
Quellen u.a.



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