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CitizenGO: Digitale Kreuzzüge im Namen der Familie – CDU/CSU als legislativer Handlanger rechter Netzwerke?

  • Autorenbild: Richard Krauss
    Richard Krauss
  • 7. Aug.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. Aug.


Der Rücktritt von Verfassungsjuristin Frauke Brosius-Gersdorf, den CitizenGO am heutigen Tag mit unverhohlener Freude kommentiert, markiert einen weiteren Etappensieg jener Kräfte, die systematisch daran arbeiten, Grundrechte zurückzuschrauben.


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Brosius-Gersdorf, eine anerkannte Juristin und Expertin für Staats- und Verwaltungsrecht, war wegen ihrer Positionen zur Selbstbestimmung von Transpersonen und reproduktiven Rechten zur Zielscheibe einer orchestrierten Kampagne geworden.


Die Petition gegen ihre Berufung durch CitizenGO erreichte innerhalb weniger Tage zehntausende Unterschriften – organisiert über ein europaweites Netzwerk mit Bezug zu rechtsextremen und christlich-fundamentalistischen Akteuren.


In den letzten Monaten verdichtet sich das Bild: Die CDU/CSU-Fraktion macht sich zunehmend zur parlamentarischen Ausführungsinstanz eines ultrakonservativen Kulturkampfes, dessen Impulse nicht zuletzt aus dem Umfeld von CitizenGO stammen.


Julia Klöckner, seit März 2025 Bundestagspräsidentin, ließ zum Berliner Christopher Street Day erstmals keine Regenbogenflagge am Bundestag hissen – mit dem Verweis auf „Neutralität“.


Kulturstaatssekretär Wolfram Weimer untersagte im Mai 2025 per Erlass jegliches Gendern in seiner Behörde und setzte auf eine ausschließlich binäre Sprachpraxis.


In mehreren Bundesländern, allen voran Bayern, laufen parallel CDU/CSU-nahe Initiativen gegen sexualpädagogische Bildung – mit Argumentationen, wie sie seit Jahren im Vokabular von CitizenGO zirkulieren.


Im September 2013 wurde in Madrid eine Organisation gegründet, die heute zu den einflussreichsten Akteuren der globalen Anti-Gender-Bewegung zählt: CitizenGO.


Hervorgegangen aus der ultra-katholischen und rechtsextremen Plattform HazteOir, verfolgt CitizenGO eine transnationale Strategie, die unter dem Deckmantel bürgerlicher Beteiligung ein dezidiert reaktionäres Weltbild verbreitet.


Dabei ist die Organisation keineswegs ein loses Graswurzelprojekt, sondern hochgradig vernetzt, professionell orchestriert – und tief in undurchsichtige internationale Machtstrukturen eingebunden.


CitizenGO inszeniert sich als digitale Bürgerplattform zur Verteidigung von "Leben, Familie und Freiheit". Gemeint ist damit ein exklusives Verständnis dieser Begriffe, das sich gegen Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, Sterbehilfe und umfassende Sexualerziehung richtet. Die Organisation verknüpft religiöse Rhetorik mit moderner Kommunikationsstrategie: Online-Petitionen, Social-Media-Kampagnen und orchestrierte Proteste werden gezielt eingesetzt, um politischen Druck aufzubauen.


Mit Büros in über 15 Ländern und Kampagnen in mindestens acht Sprachen erreicht CitizenGO Millionen Menschen – insbesondere in konservativen und autoritär regierten Staaten.


Finanziert wird die Organisation nach eigenen Angaben ausschließlich durch Kleinstspenden. Interne Leaks und Recherchen, etwa des European Parliamentary Forum on Sexual & Reproductive Rights, zeichnen ein anderes Bild.


Verbindungen zum russischen Oligarchen Konstantin Malofeev, zur US-amerikanischen christlichen Rechten sowie zur rechtsextremen mexikanischen Sekte El Yunque lassen Zweifel an der Transparenz und Unabhängigkeit der Organisation aufkommen.


Besonders brisant: Ein Vorstandsmitglied von CitizenGO, Luca Volontè, wurde 2021 wegen Bestechungsgeldern aus dem Umfeld des sogenannten Aserbaidschan-Laundromats zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.


Das ideologische Zentrum von CitizenGO ist der Kampf gegen die sogenannte „Gender-Ideologie“ – ein politischer Kampfbegriff, der eine Vielzahl progressiver sozial- und menschenrechtlicher Entwicklungen diffamiert.


Unter dem Vorwand des Schutzes von Kindern und traditionellen Werten wird eine internationale Kampagne betrieben, die gezielt Angst schürt, Narrative verdreht und die Menschenrechte von LGBTQ+-Personen, Frauen und Minderheiten delegitimiert.


Besonders perfide ist dabei die Aneignung emanzipatorischer Begriffe: Wenn CitizenGO von „Freiheit“ spricht, meint sie meist die Freiheit konservativer Akteure, andere zu diskriminieren.


In Kenia bezahlte die Organisation lokale Akteure für Tweets gegen Gesetzesvorhaben zur reproduktiven Gesundheit. In Russland unterstützte sie das sogenannte "Anti-Homopropaganda-Gesetz", das nachweislich zu einem Anstieg von Hassverbrechen gegen queere Menschen führte.


Und in Europa mobilisiert sie gegen Sexualaufklärung, Abtreibung und LGBTQ-Rechte mit einer Mischung aus Desinformation, Pseudo-Expertise und aggressiver Polarisierung. Immer wieder werden populäre Kulturprodukte – etwa Netflix-Serien oder die Disneyland-Parade – zum Ziel ihrer Kampagnen, um Einfluss auf die moralische Deutungshoheit zu gewinnen.


Dass CitizenGO dabei nicht nur mit Worten operiert, sondern mit Millionenbudget, internationalen Netzwerken und strategischer Medienmacht, zeigt die Gefahr, die von der Organisation ausgeht. Sie tritt demokratisch auf – doch ihre Agenda steht im fundamentalen Widerspruch zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.


Glossar


Abtreibung

Medizinischer Eingriff zur Beendigung einer Schwangerschaft. CitizenGO bekämpft das Recht auf Schwangerschaftsabbruch weltweit und versucht, liberalere Gesetze rückgängig zu machen.


Aserbaidschan-Laundromat

Ein komplexes Geldwäschesystem, über das Aserbaidschan u. a. europäische Politiker bestochen haben soll. Luca Volontè, Ex-Abgeordneter und CitizenGO-Vorstand, wurde 2021 in diesem Zusammenhang verurteilt.


Brosius-Gersdorf, Frauke

Deutsche Staatsrechtlerin. Ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht wurde 2025 nach massiver Kampagne von rechtskonservativen Akteuren wie CitizenGO zurückgezogen.

CitizenGO

Transnational agierende NGO mit Sitz in Madrid, gegründet 2013. Verfolgt eine christlich-fundamentalistische, antiemanzipatorische Agenda gegen LGBTQ-Rechte, Abtreibung und Genderpolitik.


El Yunque

Rechtsextreme, ultrakatholische Geheimorganisation mit Ursprung in Mexiko. Laut Recherchen bestehen personelle und ideologische Überschneidungen mit CitizenGO.


Gender-Ideologie

Kampfbegriff rechter und konservativer Milieus gegen Gleichstellungspolitik, sexuelle Selbstbestimmung und queere Rechte. Ziel ist die Diskreditierung wissenschaftlich fundierter Gender Studies.


HazteOir

Spanische Plattform, aus der CitizenGO hervorging. 2019 wurde ihr Gemeinnützigkeitsstatus in Spanien wegen extremistischer Agitation entzogen.


Klöckner, Julia

CDU-Politikerin, seit 2025 Bundestagspräsidentin. Sie untersagte erstmals das Hissen der Regenbogenflagge am Bundestag zum CSD.


Konstantin Malofeev

Russischer Oligarch mit engen Verbindungen zur orthodoxen Kirche. Unterstützer konservativer Bewegungen weltweit, auch mit mutmaßlichen Finanzflüssen an CitizenGO-nahe Netzwerke.


LGBTQ+Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und queere Personen sowie weitere geschlechtliche Identitäten. Zielgruppe zahlreicher Diffamierungskampagnen von CitizenGO.


Malofeev, Konstantin(siehe: Konstantin Malofeev)


Pride-Flagge

Symbol der LGBTQ+-Bewegung. Ihr Hissen an öffentlichen Gebäuden wird zunehmend von rechtskonservativen Akteuren verhindert oder untersagt.


Pseudo-Expertise

Strategie, bei der Laienmeinungen oder ideologisch geprägte Positionen als wissenschaftlich fundierte Expertisen ausgegeben werden – häufig genutzt in CitizenGO-Kampagnen.


Regenbogenflagge(siehe: Pride-Flagge)


Selbstbestimmungsgesetz

Gesetzliche Regelung zur vereinfachten Änderung des Geschlechtseintrags. Zielscheibe konservativer Proteste und Kampagnen von CitizenGO.


Sterbehilfe

Unterstützung beim Suizid schwerstkranker Menschen. Wird von CitizenGO pauschal als Angriff auf das Leben bekämpft.


Transnational

Über Staatsgrenzen hinweg agierend. CitizenGO operiert mit Büros, Partnerorganisationen und Kampagnen in über 15 Ländern weltweit.


Volontè, Luca

Italienischer Ex-Abgeordneter (EVP), Vorstandsmitglied bei CitizenGO. Wurde 2021 wegen Korruption im Zusammenhang mit Aserbaidschan verurteilt.

Weimer, Wolfram

CDU-Staatssekretär für Kultur. 2025 erließ er ein Genderverbot für staatliche Kommunikation – inhaltlich deckungsgleich mit Forderungen von CitizenGO.


World Congress of Families (WCF)

Internationales Netzwerk konservativer, antiemanzipatorischer Gruppen. CitizenGO ist regelmäßig Mitveranstalter oder Unterstützer von WCF-Events.



Quellenverzeichnis


  • European Parliamentary Forum for Sexual and Reproductive Rights (EPF): Recherchen zu CitizenGO, Finanznetzwerken und personellen Verflechtungen, u. a. Neil Datta.→ epfweb.org


  • Süddeutsche Zeitung, 7. August 2025: Rückzug Brosius-Gersdorf, Analyse zur Einflussnahme durch CitizenGO.→ sueddeutsche.de


  • Deutsche Welle, 25. März 2025: „Julia Klöckner wird neue Bundestagspräsidentin“ und 27. Juli 2025: „Keine Pride-Flagge am Bundestag zum CSD“.→ dw.com


  • TAZ, 24. Mai 2025: „Genderverbot von Weimer – Rückfall in binäre Zeiten“.→ taz.de


  • Political Research Associates: Bericht zur weltweiten CitizenGO-Kampagne, u. a. zum Free Speech Bus in Kenia und Russland.→ politicalresearch.org


  • Bylinetimes, Juni 2021: „The Money Men Behind CitizenGO“.→ bylinetimes.com


  • The Bureau of Investigative Journalism, 2022: Investigative Analyse zu CitizenGO und dem World Congress of Families.→ thebureauinvestigates.com


  • OpenDemocracy: Berichte zu transnationalen Anti-Gender-Kampagnen und Finanzierung rechtsextremer NGOs.→ opendemocracy.net


  • Trans Safety Network: CitizenGO, HazteOir und El Yunque.→ transsafety.network

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