100 Tage im Amt - "Ladies and gentlemen, please fasten your seatbelts" - a smart summer story
- Richard Krauss
- vor 5 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen
Stell dir vor: Wahlabend, 18:00 Uhr. Die Wahllokale schließen, die Demoskopen lassen die Balken in die Höhe schießen, als wollten sie das Dach durchbrechen. Um 22:00 Uhr ist alles entschieden – eine hanebüchene Sommergeschichte zur Primetime.
Es ist vollbracht. Endlich kann der Hunger gestillt werden, der so lange hinter den Kulissen genagt hat: den Laden übernehmen, den markigen Worten eiserne Taten anheften.
Und dann liegt er in deiner Hand – der Schlüssel zum Airbus A350, glänzend graviert mit Bundesrepublik Deutschland –10 + 03 Kurt Schumacher. Ein Moment zwischen Pathos und Flugrost. Die Crew schart sich um dich, als würdet ihr nicht nur einen Flieger, sondern gleich den Himmel übernehmen.

Die Konzepte werden aus den Schubladen gezogen wie alte Landkarten, die man nur in Notzeiten wieder hervorholt. Die Telefone laufen heiß, Stimmen klingen plötzlich vertraut, die lange verschwunden waren. Es riecht nach Posten und Pöstchen, nach Bordkarten in einer Maschine, die noch gar nicht gestartet ist.
Tage später im Cockpit: Vorne links Kapitän Friedrich M., der heute die Maschine fliegt. Daneben Lars K., als Monitoring Pilot das ruhige Auge auf dem Horizont. Und weil es eine Langstrecke ist, sitzt noch Johann W. im Dreigestirn und teilt sich mit Lars die Außenkommunikation.
Die Kabinencrew: überwiegend männlich, ergraut, als habe man sie direkt aus den schwarz-weißen Werbebroschüren von Spantax herübergerettet. Weibliche Ausnahmen sind rar wie tropische Pflanzen im Januar.
Wolfgang W. und Purserin Julia K. blicken indigniert zur Kabinendecke: Schillernde Farben tanzen dort wie in einer verspäteten Operninszenierung. Doch die Ursache ist profan – Regen, Sonne, und der ungebetene Übermut eines woken diversen Regenbogens. Skandalös.
Wolfgang W. steckt rasch die Zirkuspeitsche von Friedrich M. zurück ins Fach. Nicht jede Requisite taugt für das Bordprogramm, muss auch nicht Jede*r wissen. Blutdruck 188 zu 95, Puls 110 – tief atmen. Die Passagiere kommen bald, noch ist ein Rest von Stille.
Dispatcher Thorsten F. presst über Funk: Boarding jetzt? Slot ist fix!
Dann, als Fußnote in Eile, ein politisches Kaleidoskop – Ukraine, der „kleine Zar“, ein libertärer Senior mit reduzierter Denkleistung, Gaza, Staatsraison, Bürgergeld. Die Stirnfalten verdichten sich.
Schlepperfahrer Alexander D. wartet ungeduldig auf seinen Einsatz. Pushbacks sind seine Passion. Sicherheitschecks, Grenzkontrollen – ein Fetisch, entdeckt nicht in den Neonhallen des Berghains (Einlass verweigert), sondern im „Populis Club“ am Europaplatz.
80,5 Millionen Euro hat dieser Fetish den Passagieren der Republik bis Juni gekostet. Aber auch er hat seine Grundbedürfnisse. Maslow nickt verständnisvoll aus der Ferne.
Formalitäten bleiben. Friedrich M. braucht das Einverständnis des Bundestags. Er eilt wieder die Gangway hinab, Hände wie immer in den Taschen, der Bus an der Gangway wartet:
Himmelblau,lackiert, Reifen mit braunem Dreck besprenkelt. Am Steuer des Barkas B 1000 Bernd H. wie immer unsichere Mimik, Kappe tief im Gesicht, auf dem Beifahrersitz telefoniert Sarah W. mit ... am Uliza Iljinka 23/16 .
Das Horn der Flughafenfeuerwehr zerschneidet den Moment. Eine Brandmauer wird gelöscht – beinahe der falsche Einstieg.
Ein Company Bus bringt ihn zum Hohen Haus. Abstimmung, Vereidigung, ein Abstecher zum Tiergarten, wo Frank-Walter an seinem Dienstsitz bereits mit den Urkunden auf den Treppenstufen steht. Doch Schritt für Schritt.
Das Parlament mit seiner Glaskuppel– Dienstgipfelhöhe 40 Meter – glänzt im Sonnenlicht wie ein Terminal kurz vor dem Boarding.
Chef de Cabin Julia K. ruft zur Wahl des Flying Pilot.
Die Ansage ist knapp: keine Anstecker, keine Flaggen, keine Shirts, unter denen sich Nippel abzeichnen, und keine woken Botschaften.
Philipp A. lässt im letzten Moment ein zerrissenes Exemplar des Bayernkuriers verschwinden – ein Souvenir aus Markus S.’ Tasche, der mit seinem diabolischen Dauerlächeln wirkt, als hätte er den Flugplan schon umgeschrieben.
Der erste Wahlgang läuft. Der Fahrer verschwindet in die Kantine, um sich Kaffee zu holen.
Drinnen stürzt Friedrich M. im Stimmenmeer ab. Ratlosigkeit wabert durch den Saal, Gespräche flackern wie Stroboskoplicht.
Wolgang W sieht nur noch Stern*chen. Heute Morgen wieder Bisoprolol vergessen, immer das Gleiche. Der Startplan droht ins Trudeln zu geraten.
Erst am Abend, als die Schatten lang über das Rollfeld kriechen, springen alle über ihren eigenen – und Friedrich M. darf morgen endlich ins Cockpit.
Am Tag darauf
Nächster Morgen, 4:30 Uhr. Die Nacht klar, der Himmel wie frisch poliert. Ein erstes Grau tastet sich über den Horizont.
Boris P. steht am Gate, ungeduldig wie ein Startschuss. Top in Form, Haltung wie aus dem Handbuch, präzise bis in die Fingerspitzen. Die Lage im Griff, Worte wie klare Kommandos, Gedanken wie sortierte Checklisten. Strategie. Führung. Immer einen Schritt vor der Lage.
Der letzte Bissen EPa verschwindet – Energie aufgeladen, es kann losgehen.
Drüben erwacht der BER aus seinem künstlichen Schlummer.
Die Kurt Schumacher steht blitzblank bereit, Positionslichter glimmen, APU schnurrt. Mit der LED-BW-Signal-Taschenlampe in NATO-Oliv zieht sich der Outside-Check über die Maschine, als würde ein General sein Regiment mustern. Passt.
Zehn nach sechs – vierzig Minuten verspätet – rollt der Crew-Bus endlich vor. Friedrich M. stopft hastig den letzten Bissen der Stulle in sich hinein, die ihm Charlotte mit häuslicher Fürsorge in die Tasche geschoben hat.
Aktentaschen prall gefüllt, Lippen zu einer Linie gepresst, der Blick leicht gesenkt über den Rand der neuen Brille. Linke Hand leger in der Hosentasche, wie immer mega cool. Der Lotse geht an Bord.
Im Halbschatten: Lars K., blass und übernächtigt. Johann W., preußisch korrekt, nimmt die Stufen zum Cockpit wie auf einer Parade. Jede*r kennt seinen Platz, als wäre er ein eingravierter Sitzplan.
Julia K. drückt Katharina R. im Vorübergehen noch schnell ein Gasfeuerzeug in die Hand – wissend, dass es bei ihr gut aufgehoben ist. Fossile Energie, handlich verpackt. An Bord nicht erlaubt.
Im Tower: Agnes S. Z., Frisur wie betoniert, navyblauer Hosenanzug – die Art Uniform, in der man sowohl Flugzeuge starten als auch Untersuchungsausschüsse leiten könnte.Ihre Stimme hat den Charme eines Beschlussprotokolls und die Präzision eines Uhrwerks aus der Vorkriegszeit.
„Lufthansa One Seven One, wind two four zero degrees, four knots. Runway two four left, cleared for takeoff. Caution, traffic departing from the right, altitude one thousand two hundred feet.“
Auf dem Radarschirm ist traffic from the right nur ein kleiner Punkt. In Berlin ist das eine Metapher.
Fortsetzung folgt - vielleicht......was meint ihr?
Die Story ist natürlich fiktiv, jedliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder Ereignissen, ist rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt.
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