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Vorläufige Untersuchungs-
ergebnisse
zum Unfall der
Air India Boeing 787-8
(VT-ANB) in Ahmedabad
am 12. Juni 2025

Richard Krauss

12. Juli 2025

Erste Analyse: Plötzlicher Schubverlust
nach Start – Fokus auf technische
Ursachen und Systemverhalten

Am 12. Juni 2025 ereignete sich am Flughafen Ahmedabad ein schwerer Unfall mit einer Boeing 787-8 der Air India (Kennzeichen VT-ANB) auf dem Flug AI171 nach London-Gatwick. Das Flugzeug hob planmäßig von Runway 23 ab, wobei die erforderlichen Startgeschwindigkeiten (V1: 153 Knoten, Vr: 155 Knoten, V2: 162 Knoten) erreicht wurden. Unmittelbar nach dem Abheben, bei etwa 180 Knoten, kam es jedoch zu einem plötzlichen und gleichzeitigen Umschalten beider Triebwerks-Fuel-Control-Schalter von „RUN“ auf „CUTOFF“. Dadurch verloren beide GEnx-1B70/P2-Triebwerke schlagartig den Schub.


Die Cockpitaufzeichnungen zeigen, dass einer der Piloten überrascht nachfragte, warum die Schalter umgelegt wurden, was vom Kollegen verneint wurde. Die automatische Ram Air Turbine (RAT) wurde ausgefahren, um die Hydrauliksysteme zu versorgen. Die Crew versuchte, beide Triebwerke wieder zu starten, wobei nur Triebwerk 1 kurzzeitig wieder Schub entwickelte.


Trotz der Bemühungen konnte das Flugzeug nicht mehr an Höhe gewinnen und kollidierte etwa 0,9 nautische Meilen hinter dem Startbahnende mit dem Gebäude des BJ Medical College. Das Flugzeug wurde durch den Aufprall und das anschließende Feuer vollständig zerstört, der Trümmerbereich erstreckte sich über rund 1000 mal 400 Fuß.


Die Opferbilanz ist tragisch: Von den Insassen kamen 12 Crewmitglieder und 229 Passagiere ums Leben, 1 Passagier wurde schwer verletzt. Am Boden starben 19 Menschen, 67 weitere wurden schwer verletzt.


Das betroffene Flugzeug war eine Boeing 787-8, Baujahr 2013, mit gültigem Lufttüchtigkeitszeugnis und zuletzt am 22. Mai 2025 gewartet. Am Unfalltag bestanden fünf Einträge in der Minimum Equipment List (MEL), darunter eine Kategorie-A-MEL zur Stickstoffgeneratorleistung, die jedoch innerhalb der zulässigen Fristen lag.


Alle relevanten Airworthiness Directives und Bulletins waren umgesetzt. Auffällig ist, dass ein 2018 von der FAA veröffentlichtes Safety Bulletin zu möglichen Problemen mit den Fuel Control Switches nicht verpflichtend war und daher nicht umgesetzt wurde. Seit 2023 waren keine Defekte an den Schaltern dokumentiert.


Die Flugdatenschreiber (Enhanced Airborne Flight Recorder, EAFR) wurden geborgen, wobei nur der vordere vollständig ausgelesen werden konnte und umfassende Flugdaten sowie Cockpit-Audio lieferte. Die Wetterbedingungen zum Unfallzeitpunkt waren gut, mit leichter Brise und klarer Sicht. Die Kommunikation mit dem Tower verlief bis zum Notruf („MAYDAY“ um 08:09:05 UTC) normal.


Die bisherige Analyse legt nahe, dass das gleichzeitige, unbeabsichtigte Umschalten beider Fuel Control Switches auf „CUTOFF“ den Unfall auslöste. Die genaue Ursache dieses Vorgangs ist noch ungeklärt; die Cockpitaufzeichnungen deuten nicht auf eine bewusste Handlung der Crew hin. Die automatische Wiederanlasserlogik der FADEC versuchte, die Triebwerke erneut zu starten, jedoch nur mit teilweisem Erfolg bei Triebwerk 1. Flap- und Fahrwerksstellungen waren für den Start korrekt, die Schubhebel befanden sich zum Zeitpunkt des Aufpralls in Leerlaufstellung – eine Folge des bereits erfolgten Schubverlusts.


Nach dem Unfall wurden Wrackteile und Triebwerke geborgen und zur weiteren Analyse gesichert. Die Kraftstoffproben aus den Betankungsanlagen zeigten keine Auffälligkeiten, kleinere Proben aus dem Flugzeug werden weiterhin untersucht.


Postmortem-Analysen der Crew und Passagiere laufen, um medizinische Ursachen auszuschließen. Bislang wurden keine spezifischen Sicherheitsempfehlungen für Betreiber der Boeing 787-8 oder der GEnx-1B-Triebwerke ausgesprochen.


Für die Fachwelt ist besonders relevant, dass der Unfall die Bedeutung von Systemredundanz und einer sicheren Auslegung kritischer Schalterfunktionen unterstreicht. Die Cockpit-Kommunikation und das technische Verhalten deuten auf einen möglichen Systemfehler oder ein bislang unbekanntes Systemverhalten hin.


Die Tatsache, dass empfohlene, aber nicht verpflichtende Inspektionen (SAIB) nicht umgesetzt wurden, könnte im weiteren Verlauf der Untersuchung eine Rolle spielen. Die genaue Ursache für das Umschalten der Fuel Control Switches bleibt weiterhin ungeklärt und ist zentraler Gegenstand der weiteren Ermittlungen.


Der Unfall von VT-ANB stellt ein äußerst seltenes und gravierendes Ereignis dar. Die bisherigen Erkenntnisse deuten auf ein plötzliches, nicht von der Crew initiiertes Abschalten beider Triebwerke unmittelbar nach dem Start hin. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf technische Fehlfunktionen, Systemdesign und die Mensch-Maschine-Interaktion. Eine abschließende Bewertung bleibt dem Endbericht vorbehalten.


Quelle:


Vorläufiger Untersuchungsbericht https://aaib.gov.in/What's%20New%20Assets/Preliminary%20Report%20VT-ANB.pdf


Glossar:


Boeing 787-8

 Ein modernes, zweistrahliges Langstreckenflugzeug des US-amerikanischen Herstellers Boeing, das für Passagierflüge eingesetzt wird.

 

Air India

 Die nationale Fluggesellschaft Indiens, die internationale und nationale Flüge durchführt.

 

VT-ANB

 Das individuelle Kennzeichen (Registrierung) des verunglückten Flugzeugs, vergleichbar mit einem Autokennzeichen.

 

Triebwerk

 Der Motor eines Flugzeugs, der für den Antrieb sorgt. Bei der Boeing 787-8 handelt es sich um sogenannte Turbofan-Triebwerke.

 

GEnx-1B70/P2

 Die genaue Bezeichnung des Triebwerktyps, der im verunglückten Flugzeug eingebaut war. „GE“ steht für General Electric, den Hersteller.

 

Fuel Control Switch

 Ein Schalter im Cockpit, mit dem die Treibstoffzufuhr zum Triebwerk ein- oder ausgeschaltet wird („RUN“ = an, „CUTOFF“ = aus).

 

FADEC

 Ein elektronisches Steuerungssystem für Flugzeugtriebwerke, das die Motorfunktionen automatisch überwacht und regelt.

 

Ram Air Turbine (RAT)

 Ein kleines, ausklappbares Windrad am Flugzeug, das bei einem Notfall Strom und Hydraulikdruck liefert, wenn die Hauptsysteme ausfallen.

 

MEL (Minimum Equipment List)

Eine Liste mit Geräten und Systemen, die für einen sicheren Flug mindestens funktionieren müssen. Defekte, die auf der Liste stehen, dürfen unter bestimmten Bedingungen vorübergehend vorhanden sein.

 

Airworthiness Directive (AD)

 Eine verbindliche Anweisung der Luftfahrtbehörde, mit der Sicherheitsprobleme an Flugzeugen behoben werden müssen.

 

SAIB (Special Airworthiness Information Bulletin)

 Eine Empfehlung der Luftfahrtbehörde zu möglichen Sicherheitsproblemen, deren Umsetzung aber freiwillig ist.

 

EAFR (Enhanced Airborne Flight Recorder)

 Der Flugdatenschreiber („Black Box“), der Flugdaten und Cockpitgespräche aufzeichnet, um bei Unfällen die Ursachen zu ermitteln.

 

Cockpit Voice Recorder

 Ein Teil des Flugdatenschreibers, der die Gespräche und Geräusche im Cockpit aufnimmt.

 

Mayday

 Internationaler Notruf, der im Funkverkehr verwendet wird, wenn ein Flugzeug in akuter Gefahr ist.

 

Flap

 Eine ausfahrbare Fläche am Flügel, die beim Start und bei der Landung für mehr Auftrieb sorgt.

 

Fahrwerk

 Die Räder und das Gestänge, mit denen ein Flugzeug startet, landet und am Boden rollt.

 

Take-Off Weight

 Das Gesamtgewicht des Flugzeugs beim Start, inklusive Passagiere, Fracht und Treibstoff.

 

V1, Vr, V2

 Wichtige Geschwindigkeitspunkte beim Start:

 V1: Entscheidungsgeschwindigkeit, bis zu der der Start abgebrochen werden kann

 Vr: Geschwindigkeit, bei der das Flugzeug abhebt

 V2: Geschwindigkeit, die nach einem Triebwerksausfall zum sicheren Steigen nötig ist

 

Notfallprozedur

 Ein festgelegter Ablauf, den die Crew bei technischen Problemen oder Gefahrensituationen befolgt.

 

Crash Fire Tender

 Ein spezielles Löschfahrzeug am Flughafen, das bei Flugzeugunfällen für Brandbekämpfung und Rettung eingesetzt wird.


Medien und Linkverweise:





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