Richard Krauss
24. Juli 2025
An-24 verunglückt vor Ankunft in
Tynda
Beim Anflug auf den Flughafen Tynda in der russischen Region Amur ist eine Passagiermaschine vom Typ Antonow An-24 abgestürzt. Nach Angaben der Behörden scheiterte der erste Landeversuch, die Besatzung leitete ein Durchstartmanöver ein. Kurz darauf brach der Funkkontakt ab, das Flugzeug verschwand vom Radar.

An Bord der abgestürzten Maschine befanden sich nach offiziellen Angaben 49 Menschen – darunter vier Crewmitglieder sowie 45 Passagiere. Die russische Katastrophenschutzbehörde bestätigte, dass niemand den Absturz überlebte. Unter den Opfern seien laut regionalen Behörden auch mehrere Kinder, genaue Angaben zur Zahl machten die Behörden bislang nicht.
Die Passagierliste wurde am Abend des Unglücks veröffentlicht, die Identifizierung der Leichen ist aufgrund der schwierigen Bergungsbedingungen noch nicht abgeschlossen. Viele Angehörige stammen aus abgelegenen Siedlungen der Amur-Region, einige wurden von Sozialdiensten betreut.
Der Inlandsflug verband Tynda mit einer benachbarten Region, zahlreiche Passagiere sollen sich aus beruflichen Gründen oder für Familienbesuche an Bord befunden haben.
Der Anflug erfolgte unter schwierigen Wetterbedingungen. Aus öffentlich einsehbaren METAR-Daten geht hervor, dass zum Zeitpunkt des Unglücks dichter Nebel, leichter Nieselregen und schlechte Sichtverhältnisse herrschten.
Die horizontale Sichtweite beim Anflug betrug laut METAR weniger als 1.000 Meter, örtlich war sie durch aufliegende Wolken noch weiter eingeschränkt.
Zudem wurden leichte Böen aus wechselnden Richtungen gemeldet (METAR ZTYD 230430Z VRB02MPS 3000 -DZ BR OVC002 12/12 Q1007 RMK QFE730/0973). Für ein Flugzeug mit analoger Avionik wie die An-24 sind solche Bedingungen bereits kritisch.
Der Flughafen von Tynda verfügt über eine knapp 1.800 Meter lange Asphaltpiste, jedoch ohne modernes Instrumentenlandesystem (ILS). Präzisionsanflüge nach westlichem Standard sind nicht möglich, was den Anflug bei schlechter Sicht deutlich erschwert.
Navigiert wird überwiegend visuell oder über Funknavigationshilfen geringer Reichweite – bei starker Bewölkung und Nebel ein zusätzliches Risiko.
Die abgestürzte Maschine wurde von Angara Airlines betrieben, einer kleinen regionalen Fluggesellschaft mit Sitz in Irkutsk. Das Unternehmen bedient in erster Linie Inlandsverbindungen in Sibirien und dem Fernen Osten Russlands – darunter zahlreiche entlegene Zielorte, die nur schwer über Straßen erreichbar sind. Zum Einsatz kommen dabei überwiegend ältere sowjetische Maschinen wie die Antonow An-24 oder die größere Jakowlew Jak-40, die in anderen Teilen der Welt längst ausgemustert wurden.
Angara Airlines ist Teil der Eastland Group, einem Mischkonzern mit Interessen in Transport, Energie und Logistik. Die Airline steht wie alle russischen Luftfahrtunternehmen seit dem Frühjahr 2022 auf der Flugverbotsliste der Europäischen Union. Grund für das Verbot ist nicht primär politische Sanktion, sondern die fehlende Anerkennung russischer Wartungs- und Zulassungsverfahren durch die europäische Luftsicherheitsagentur EASA.
Aufgrund des Ukraine-Kriegs hat Russland seine Zusammenarbeit mit internationalen Luftfahrtgremien weitgehend eingestellt – westliche Behörden betrachten die Sicherheitsstandards russischer Airlines seither als nicht mehr überprüfbar.
Der eingesetzte Flugzeugtyp, die Antonow An-24, wurde in den 1960er Jahren in der damaligen Sowjetunion entwickelt. Sie gilt als robust, aber technisch veraltet. In Russland und einigen Nachfolgestaaten wird die zweimotorige Turboprop-Maschine bis heute eingesetzt – meist auf Kurzstrecken und unter widrigen Bedingungen. Zwar wird die An-24 in Russland offiziell als flugtauglich anerkannt, doch internationale Luftfahrtexperten äußern seit Jahren Zweifel an der
sicheren Flugtauglichkeit.
Zwar wurden einzelne Maschinen über die Jahre modernisiert, doch mangelt es zunehmend an Ersatzteilen und qualifiziertem Wartungspersonal. Auch das ursprünglich für die An-24 entwickelte Navigationssystem entspricht nicht mehr den heutigen Standards. Insbesondere unter Wetterbedingungen wie in Tynda – mit tiefliegender Bewölkung und fehlendem Instrumentenlandesystem – stoßen Besatzung und Technik rasch an ihre Grenzen.
Flugunfalluntersucher weisen darauf hin, dass die Kombination aus betagten Flugzeugen, unzureichender Infrastruktur und eingeschränkter Aufsicht zu einem erhöhten strukturellen Sicherheitsrisiko im russischen Luftverkehr führt.
In den vergangenen Jahren häuften sich Berichte über Zwischenfälle und Unfälle mit Maschinen älterer Bauart. Der jüngste Absturz reiht sich in diese besorgniserregende Entwicklung ein.
Glossar
Antonow An-24
Ein zweimotoriges Turboprop-Flugzeug sowjetischer Bauart, das seit den 1960er-Jahren vor allem für den Kurzstreckenverkehr eingesetzt wird.
Angara Airlines
Eine russische Regionalfluggesellschaft mit Sitz in Irkutsk. Sie betreibt vor allem Inlandsflüge in entlegene Regionen Sibiriens.
Eastland Group
Ein russisches Mischunternehmen mit Beteiligungen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen, unter anderem im Transport- und Luftfahrtsektor.
Flugverbot (EU)
Maßnahme der Europäischen Union, die bestimmten Airlines aufgrund unzureichender Sicherheitsstandards den Zugang zum europäischen Luftraum untersagt.
Flugunfall
Ein unerwartetes Ereignis im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Luftfahrzeugs, das zum Tod, zur Verletzung von Menschen oder zur Zerstörung des Flugzeugs führt.
Flugsicherheit
Gesamtheit aller technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen zur Vermeidung von Zwischenfällen und Unfällen im Luftverkehr.
Funkkontakt
Die Kommunikation zwischen Cockpit und Fluglotsen am Boden. Ein plötzlicher Abbruch gilt als Hinweis auf eine Notlage.
Instrumentenlandesystem (ILS)
Ein technisches System am Flughafen, das Flugzeuge bei schlechter Sicht präzise auf die Landebahn leitet.
Landeanflug
Die Phase eines Fluges, in der ein Flugzeug sinkt, um zur Landung anzusetzen. Sie erfordert genaue Navigation und klare Sichtverhältnisse.
METAR
Ein standardisierter Wetterbericht für die Luftfahrt, der in kurzen Codes Informationen zu Sichtweite, Wind, Wolken und anderen Wetterphänomenen liefert.
Navigation
Die Bestimmung und Kontrolle der Flugroute. Sie erfolgt mittels Funk, GPS oder visueller Orientierung.
Notruf (Mayday)
Ein internationaler Funkruf, mit dem eine Crew eine akute Notlage anzeigt. Wird im Cockpit per Funkspruch oder Transponder aktiviert.
Radar
Ein System zur Ortung von Flugzeugen mithilfe elektromagnetischer Wellen. Wird zur Überwachung des Flugverkehrs eingesetzt.
Rosaviatsiya
Die russische Bundesluftfahrtbehörde, zuständig für die Regulierung und Überwachung des zivilen Luftverkehrs in Russland.
Rückflugverbot
Ein Verbot für bestimmte Luftfahrzeuge oder Airlines, einen bestimmten Luftraum zu befliegen – meist aus Sicherheits- oder Sanktionsgründen verhängt.
Sichtverhältnisse
Ein Maß dafür, wie weit ein Pilot durch Wetterbedingungen wie Nebel, Regen oder Schnee sehen kann.
Taiga
Ein großflächiger Nadelwaldgürtel in den nördlichen Breiten, der sich unter anderem über große Teile Sibiriens erstreckt.
Tynda
Eine Kleinstadt in der russischen Amur-Region, gelegen an der Baikal-Amur-Magistrale. Der örtliche Flughafen dient als regionale Verkehrsanbindung.
Turbinentriebwerk (Turboprop)
Ein Flugzeugtriebwerk, bei dem eine Turbine einen Propeller antreibt – effizient für kurze bis mittlere Strecken.
Unfalluntersuchung
Ein strukturierter Prozess zur Klärung der Ursachen eines Flugunfalls. In Russland zuständig: das Zwischenstaatliche Luftfahrtkomitee (IAC).
Wartung
Die regelmäßige technische Kontrolle und Instandhaltung eines Flugzeugs, notwendig zur Aufrechterhaltung der Flugtauglichkeit.
Quellenverzeichnis:
Russische Luftfahrtbehörde (Rosaviatsiya) – offizielle Mitteilungen zum Zwischenfall
Ministerium für Katastrophenschutz der Russischen Föderation (EMERCOM) – Lageberichte und Opferzahlen
METAR-Daten für Flughafen Tynda (ICAO-Code: ZTYD), abgerufen via aviationweather.gov
Datenblatt zur Antonow An-24 – Herstellerangaben und Typenzertifikate
Eastland Group – Konzernstruktur von Angara Airlines
Angara Airlines – Unternehmenswebseite und Flottenübersicht
Europäische Kommission – Liste der Luftfahrtunternehmen mit Betriebsverbot in der EU (Air Safety List, Stand 2025)
Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) – Standards zur Flugtauglichkeit und Navigation
Aviation Safety Network – Datenbank zu Flugunfällen und Zwischenfällen mit An-24-Maschinen
Russische Presseagentur TASS – Erstmeldung zum Absturz und Wetterlage
Nachrichtenagentur Interfax – ergänzende Informationen zu Opferzahlen und Bergung
Flugsicherheitsberichte des IAC (Zwischenstaatliches Luftfahrtkomitee der GUS-Staaten)
Berichte von „The Moscow Times“ und „Novaya Gazeta“ zur Situation russischer Airlines unter Sanktionen
EASA (European Union Aviation Safety Agency) – rechtliche Bewertung russischer Wartungsverfahren
Fachpublikation FlightGlobal – Analysen zur Betriebssicherheit älterer sowjetischer Flugzeugmodelle