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FAZ-Leitartikel entfacht Debatte: Die Zukunft der CDU und der Umgang mit der AfD

Richard Krauss

27. Juni 2025

Maskenaffäre und AfD-Debatte: Glaubwürdigkeitskrise in der CDU

Der heutige Leitartikel der FAZ, der Jens Spahn als potenziellen Akteur für eine strategische Öffnung der CDU zur AfD ins Spiel bringt, markiert einen bemerkenswerten Wendepunkt im öffentlichen Diskurs über die Zukunft der bürgerlichen Mitte in Deutschland. Die Argumentation, Spahn könne für die Partei dann wichtig werden, wenn eine Zusammenarbeit mit der AfD parlamentarisch unvermeidlich erscheine, ist weniger Ausdruck nüchterner Analyse als vielmehr ein Symptom für die wachsende Unsicherheit innerhalb der Union. Während die CDU auf Bundesebene offiziell an ihrer Brandmauer festhält, mehren sich insbesondere in ostdeutschen Landesverbänden Stimmen, die einen pragmatischeren Umgang fordern und punktuelle Kooperationen nicht ausschließen. Die FAZ greift diese Strömungen auf, indem sie Spahn als möglichen „Vermittler“ für den Ausnahmefall ins Spiel bringt – als ob die Frage demokratischer Prinzipien situativ verhandelbar wäre.


Diese Entwicklung steht im Spannungsfeld zwischen parteipolitischem Pragmatismus und normativer Selbstvergewisserung. Politikwissenschaftliche Forschung, etwa die Analysen des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung oder die vergleichende Parteienforschung von Daniel Ziblatt, verweist auf die Risiken solcher Öffnungen: Konservative Parteien, die sich auf das Spiel mit dem rechten Rand einlassen, verlieren nicht nur ihr Profil, sondern legitimieren und stärken jene Kräfte, die sie eigentlich einzudämmen vorgeben. Die AfD, so die Diagnose von Floris Biskamp, ist kein Partner für eine demokratische Koalition, sondern ein Katalysator für die Erosion der politischen Mitte – ein Akteur, der weniger auf Kooperation als vielmehr auf die Schwächung der Union als bürgerliche Kraft abzielt. Die Erfahrungen aus Italien, Schweden oder den Niederlanden belegen, dass konservative Parteien, die sich taktisch auf Rechtspopulisten einlassen, langfristig an Einfluss und Glaubwürdigkeit verlieren, während sich das politische Koordinatensystem nach rechts verschiebt.


Gleichzeitig bleibt die CDU, und hier wird die Debatte um Spahn exemplarisch, in ihrer eigenen Vergangenheit gefangen. Die Maskenaffäre, deren Aufarbeitung von Intransparenz und politischer Blockade geprägt ist, steht als Menetekel im Raum: Wie glaubwürdig kann eine Partei demokratische Prinzipien verteidigen, wenn sie bei der eigenen Verantwortungsübernahme zaudert? Die Glaubwürdigkeitskrise ist nicht nur eine Frage des politischen Personals, sondern eine der institutionellen Kultur. Die systematische Vermeidung parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und die Praxis, kritische Berichte als Verschlusssache zu behandeln, untergraben das Vertrauen in die Partei und ihre Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Gerade im Kontext der aktuellen Debatte um die Brandmauer zur AfD wirkt diese Form von Selbstschutz wie ein weiterer Beleg für die Erosion politischer Verantwortung.


Die Argumentation der FAZ, Spahn könne als „Vermittler“ gebraucht werden, wenn die politische Arithmetik eine Zusammenarbeit mit der AfD erzwinge, verkennt die politische und gesellschaftliche Sprengkraft solcher Gedankenspiele. Sie unterschätzt, wie sehr die Normalisierung der AfD durch punktuelle Kooperationen auf kommunaler oder Landesebene das gesamte Parteiensystem unter Druck setzt. Studien des WZB zeigen, dass bereits technische oder „unpolitische“ Zusammenarbeit die AfD als akzeptablen Akteur etabliert und die demokratische Mitte schwächt. Die Brandmauer ist kein taktisches Instrument, sondern ein Schutzmechanismus für das demokratische Gemeinwesen.


Dass die CDU heute ihr 80-jähriges Bestehen begeht, sei am Rande erwähnt – ein Jubiläum, das angesichts der aktuellen Debatte weniger zum Feiern als zur Selbstvergewisserung mahnt. Die Partei, gegründet 1945 mit dem Anspruch, die demokratische Mitte zu bündeln und der Republik Stabilität zu geben, steht erneut an einem Scheideweg. Die Antwort auf die Frage, wie sie mit dem Druck von rechts umgeht, wird nicht in Festreden oder historischen Reminiszenzen entschieden, sondern im politischen Alltag, im Umgang mit den eigenen Skandalen und in der Klarheit der Abgrenzung gegenüber antidemokratischen Kräften.


Wer die Brandmauer zur Option erklärt, hat sie bereits eingerissen. Die CDU muss sich entscheiden, ob sie weiterhin Hüterin der demokratischen Mitte bleibt oder für kurzfristige Optionen die Grundkoordinaten der Republik verschiebt. Die politische Sprache, die im Leitartikel der FAZ mitschwingt, ist dabei weniger Ausdruck strategischer Klugheit als ein Zeichen intellektueller und normativer Verunsicherung – und damit ein Prüfstein für die Zukunft der Partei und der deutschen Demokratie.

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