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Ende der Ausnahmeregelung
führt zu Koalitionsbruch in Israel

Richard Krauss

16. Juli 2025

Koalitionsmehrheit bricht wegen Streit
über Wehrpflicht für Jeschiwa-Studenten auseinander

Am Mittwoch, dem 16. Juli 2025, haben in Israel zwei ultraorthodoxe Parteien angekündigt, die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu verlassen. Es handelt sich um die sefardische Schas-Partei und das Vereinigte Tora-Judentum (UTJ). Beide Parteien reagierten damit auf das Scheitern von Gesetzesinitiativen zur Fortführung der jahrzehntelang geltenden Befreiung religiöser Jeschiwa-Studenten von der allgemeinen Wehrpflicht.


Regierung verliert Beteiligung zweier Fraktionen

Die Partei Vereinigtes Tora-Judentum (UTJ) hatte bereits zuvor ihre Entscheidung mitgeteilt, die Regierung zu verlassen. Nach Angaben der Partei werden Minister und stellvertretende Minister ihre Posten niederlegen. Die Partei stellt sieben der 120 Abgeordneten des israelischen Parlaments (Knesset).


Auch die Schas-Partei kündigte an, ihre Regierungsmitglieder zurückzuziehen. Sie stellt elf Abgeordnete in der Knesset. Die Partei erklärte, sie werde trotz des Rückzugs aus der Regierung vorerst nicht die Koalition verlassen. Eine Unterstützung der Koalition sei unter bestimmten Bedingungen weiterhin möglich.


Mit dem Regierungsrückzug beider ultraorthodoxer Parteien verändert sich die Mehrheitslage der Koalition. Die Koalition verfügte bislang über 64 Sitze. Ohne UTJ und eine formelle Unterstützung von Schas sinkt die Regierungsmehrheit auf 46 Sitze. Die absolute Mehrheit in der Knesset beträgt 61 Sitze.


Zentrale Streitfrage: Wehrpflicht religiöser Männer

Der Hintergrund des Rückzugs ist die Frage der Wehrpflichtregelung für ultraorthodoxe Männer. Seit Jahrzehnten konnten Männer, die in religiösen Ausbildungsstätten (Jeschiwot) lernen, vom Militärdienst befreit werden. Diese Ausnahmeregelung basierte auf politischen Vereinbarungen und Verwaltungsentscheidungen und wurde regelmäßig verlängert.


Im Jahr 2024 entschied das Oberste Gericht Israels, dass die Befreiung gegen das Gleichheitsprinzip verstößt. Das Gericht forderte die Regierung auf, eine gesetzliche Regelung zu treffen oder die allgemeinen Wehrpflichtbestimmungen auf alle Bevölkerungsgruppen anzuwenden.


Nach dem Gerichtsurteil begannen die israelischen Streitkräfte damit, auch ultraorthodoxe Männer zu Musterungen und Einberufungen aufzufordern. Nach Medienberichten wurden mehrere tausend Einberufungsbescheide verschickt. Die betroffenen Parteien betrachten dieses Vorgehen als Bruch eines zentralen Bestandteils ihrer gesellschaftlichen Rolle im Staat.


Folgen für Netanjahus Regierung

Die aktuelle politische Krise findet knapp vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause statt. Diese beginnt Ende kommender Woche. In dieser Zeit kann kein Misstrauensantrag gegen die Regierung eingebracht werden. Aus diesem Grund ist ein sofortiger Regierungswechsel rechtlich nicht möglich.


Ministerpräsident Netanjahu kann versuchen, neue Koalitionsvereinbarungen zu treffen oder abtrünnige Partner durch politische Angebote zurückzugewinnen. Eine kurzfristige Einigung über die Wehrpflichtregelung scheint jedoch aus Sicht verschiedener Beobachter schwierig.


Nach Angaben von Times of Israel, Haaretz und Jerusalem Post prüft die Regierung mehrere Optionen. Dazu gehören die Ausweitung ziviler Ersatzdienste, die Einführung von Altersgrenzen für Befreiungen oder ein Stufenmodell mit begrenzten Kontingenten. Einigkeit innerhalb der Koalition gibt es bislang nicht.


Keine Neuwahlen vor Herbst zu erwarten

Da während der Sommerpause keine Initiativen gegen die Regierung eingeleitet werden können, bleibt die Situation bis September oder Oktober formal unverändert. Eine Abwahl der Regierung wäre rechtlich erst nach Wiederaufnahme der Parlamentsarbeit möglich.


Experten schließen nicht aus, dass es in den kommenden Monaten zu Neuwahlen kommt. In mehreren Umfragen führte zuletzt die zentristische Partei Jesch Atid. Auch Vertreter der oppositionellen Nationalen Einheitspartei äußerten, eine Stabilisierung der politischen Lage sei unter der aktuellen Koalition kaum erreichbar.


Gesellschaftspolitische Bedeutung

Die Auseinandersetzung um die Wehrpflicht betrifft eine grundlegende Strukturfrage des israelischen Staates. Die Sonderregelungen für ultraorthodoxe Männer wurden seit Jahrzehnten regelmäßig kritisiert. Viele Bürger fordern eine umfassende Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen an staatlichen Pflichten.


Die ultraorthodoxen Parteien hingegen bestehen auf der Fortführung der bisherigen Regelungen. Bekanntmachungen beider Parteien betonen, der religiöse Lernbetrieb sei für sie unverzichtbarer Bestandteil der jüdischen Tradition und Identität.

Die kommenden Wochen gelten als entscheidend für die Frage, ob die israelische Regierung unter Netanjahu handlungsfähig bleibt oder ein politischer Umbruch bevorsteht.


Quellen:

Times of Israel (16.07.2025)

Haaretz (16.07.2025)

Jerusalem Post (16.07.2025)

i24NEWS (16.07.2025)

Jüdische Allgemeine (16.07.2025)

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