
Richard Krauss
13. Juni 2024
Die geplante EU-Richtlinie zur Überwachung aller Messenger-Programme ( "ePrivacy-Verordnung" oder "Chatkontrolle-Richtlinie" ) wird weiterhin kontrovers diskutiert.
Der Entwurf zur Richtlinie "ePrivacy-Verordnung" vom 13. März 2024 sieht vor, dass Anbieter von Messenger-Diensten wie WhatsApp, Signal oder Telegram verpflichtet werden, die Kommunikation ihrer Nutzer zu überwachen und verdächtige Inhalte an die Behörden zu melden.
Dazu müssen die Unternehmen aller verschlüsselte Nachrichten (anlasslos) entschlüsseln und Metadaten wie Absender, Empfänger und Zeitpunkt der Übertragung erfassen. Dies ist einem Generalverdacht gegenüber allen Anwendern solcher Chatprogramme gleichzusetzen.
Während die Befürworter argumentieren, dass eine solche Überwachung zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus notwendig sei, warnen Kritiker vor einem Missbrauch der Befugnisse und einer Aushöhlung der Grundrechte. Kritiker argumentieren, dass eine solche Überwachung einen massiven Eingriff in die Privatsphäre darstellt und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Kommunikation verletzt. Sie befürchten, dass die Überwachung auch für andere Zwecke wie politische Kontrolle missbraucht werden könnte und fordern stattdessen den Ausbau anderer Ermittlungsmethoden. Die Richtlinie befindet sich derzeit in der Verhandlungsphase zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission. Es bleibt abzuwarten, ob die Bedenken der Kritiker ausreichend berücksichtigt werden und ob die Richtlinie in der geplanten Form verabschiedet wird.
Europol war bei der Erarbeitung der Chatkontrolle-Verordnung durch die EU-Kommission vertreten und hat sich für eine Ausweitung der anlasslosen Massenüberwachung ausgesprochen und fordert,
dass das geplante EU-Zentrum gegen Kindesmissbrauch, das bei Europol angesiedelt werden soll, uneingeschränkten Zugriff auf alle Daten der Chatkontrolle erhält, um KI-Algorithmen zu trainieren.
Europol möchte die Chatkontrolle auch auf andere Kriminalitätsbereiche ausweiten und strebt die Nutzung von KI-Instrumenten und Abhörmaßnahmen durch Strafverfolgungsbehörden an.
Viele der Forderungen von Europol sind in den Gesetzentwurf der EU-Kommission eingeflossen, wie die automatisierte Übermittlung aller Meldungen an Europol und nationale Behörden.
Das Bundesinnenministerium in Berlin setzt sich bei der geplanten Chatkontrolle für eine stärkere Verantwortung der Anbieter von Informationsdiensten ein. Es unterstützt den Entwurf der EU-Kommission, der klare und dauerhafte Rechtsgrundlagen schafft, um den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern zu verstärken. Gleichzeitig betont das Ministerium die Notwendigkeit, die geplanten Regelungen mit den grundrechtlichen Anforderungen in Einklang zu bringen, insbesondere hinsichtlich des Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation und der Privatsphäre.
Deutschland fordert bei der geplanten EU-Verordnung zur Chatkontrolle mehrere konkrete Änderungen, damit der Gesetzentwurf für die Bundesregierung zustimmungsfähig wird:
Der Einsatz von Maßnahmen, die zu einem Bruch, einer Schwächung, Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung führen, soll durch konkretere technische Anforderungen im Verordnungsentwurf ausgeschlossen werden.
Maßnahmen, die auf den Endgeräten der Nutzer erfolgen, sollen ebenfalls ausgeschlossen werden.
Deutschland lehnt einige besonders umstrittene Teile der Chatkontrolle ab, darunter das Scannen verschlüsselter Kommunikation und Client-Side-Scanning. Andere Aspekte wie das Scannen unverschlüsselter Kommunikation, das Scannen von Cloud-Speichern und nach welchen Inhalten gesucht werden soll, werden von der Bundesregierung weiterhin verhandelt.
Die Bundesregierung will sich bei ihrer Position der Position des EU-Parlaments annähern, die sie als gute Grundlage für die weiteren Verhandlungen" bezeichnet. Gleichzeitig fordert Deutschland, dass die Zahl der gemeldeten Inhalte mit dem neuen Gesetz nicht weniger wird als mit der aktuell freiwilligen Chatkontrolle durch einige Tech-Konzerne.
Die deutschen Datenschutzbehörden ablehnend auf die von der EU-Kommission geplante Chatkontrolle zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch im Internet. Die Datenschutzkonferenz, die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder, warnt in einer Entschließung, dass die geplante Chatkontrolle zu einer unverhältnismäßigen, anlasslosen Massenüberwachung führen würde.
Sie sehen die Pläne als nicht vereinbar mit den Grundrechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Vertraulichkeit der Kommunikation und dem Schutz personenbezogener Daten.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisiert, dass die Chatkontrolle flächendeckend das Fernmeldegeheimnis unterminieren und zu vielen falschen Verdächtigungen führen würde.
Er fordert von der Bundesregierung, auf Änderungen des Entwurfs zu drängen.
Die Datenschutzbehörden argumentieren, dass die geplanten Maßnahmen die sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aushebeln und damit die Sicherheit digitaler Kommunikation insgesamt schwächen würden.
Insgesamt lehnen die deutschen Datenschützer die anlasslose Überwachung sämtlicher Nutzer von Kommunikationsdiensten entschieden ab und fordern, dass der Schutz der Privatsphäre und Vertraulichkeit der Kommunikation gewahrt bleiben muss. Die Bundesregierung hat in einem Katalog von 61 Fragen konkrete Änderungsvorschläge zur EU-Richtlinie zur Chatkontrolle eingebracht, um die Verhältnismäßigkeit und den Schutz der Privatsphäre zu gewährleisten. Demnach fordert die Regierung Nachbesserungen, um die Vorgaben des Koalitionsvertrags einzuhalten, die mit der Chatkontrolle unvereinbar sind.
Unter anderem die Ablehnung von "Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht", die Wahrung von "anonyme und pseudonyme Online‐Nutzung", die Einführung eines "Recht auf Verschlüsselung" und "security-by-design/default". Ablehnung von "verpflichtende Uploadfilter" zum Schutz der Informations- und Meinungsfreiheit. Insgesamt drängt die Bundesregierung darauf, die Chatkontrolle als Ganzes abzulehnen, da sie mit europäischen Grundrechten unvereinbar ist und technisch gefährlich sei. Anstatt Einzelpunkte nachzubessern, wird eine klare Position gegen die anlasslose Überwachung privater Kommunikation gefordert. (rk)