Richard Krauss
3. Juli 2025
Finanzierung des Rechtsextremismus -
Von Windhunden bis Abtreibungsgegnern:
Wer profitierte davon?

Brüssel – Es sind Summen, die selbst in den weitläufigen Fluren des Europäischen Parlaments für Aufsehen sorgen: Mindestens 4,3 Millionen Euro aus dem Haushalt der Europäischen Union sollen von der inzwischen aufgelösten Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) in der vergangenen Wahlperiode zweckwidrig ausgegeben worden sein. Das belegt ein interner Prüfbericht der Parlamentsverwaltung, der ZEIT und dem ARD-Politikmagazin Kontraste vorliegt.
Die Liste der Empfänger liest sich wie ein Streifzug durch das rechte Milieu Europas: 3.250 Euro für misshandelte Windhunde aus den französischen Alpen, 1.100 Euro für streunende Katzen im italienischen Latium, jeweils 3.500 Euro an Veteranen der Fremdenlegion und eine Anti-Abtreibungsinitiative aus Hessen. Insgesamt mehr als 700.000 Euro gingen als Spenden an Initiativen und Vereine, die dem politischen Dunstkreis der Fraktion zuzuordnen sind.
Doch die Großzügigkeit hatte einen Haken: Laut Prüfbericht wurden sämtliche Spenden und viele weitere Aufträge unzulässig abgerechnet. Die ID-Fraktion, zu der bis Mai 2024 auch die AfD gehörte, ignorierte systematisch Vergaberegeln und vergab Aufträge ohne Ausschreibung – teils an befreundete Firmen, teils ohne erkennbare Gegenleistung.
Besonders auffällig: Die Firma Unanime, später umbenannt in Europacomm, kassierte über 1,4 Millionen Euro aus dem Fraktionsbudget, ohne dass die Gegenleistungen nachvollziehbar dokumentiert gewesen wären.
Die Agentur Unanime, die sich 2024 in Europacomm umbenannte, spielt eine zentrale Rolle im aktuellen Finanzskandal der ID-Fraktion im Europäischen Parlament. Nach Recherchen von ZEIT, ARD-Kontraste und weiteren Medien erhielt Unanime/Europacomm über 1,4 Millionen Euro aus dem Fraktionsbudget – ein Großteil davon für angebliche Kommunikations- und Beratungsleistungen. Die Ausgaben wurden laut internem Prüfbericht der Parlamentsverwaltung ohne die vorgeschriebenen Ausschreibungen und oftmals ohne nachvollziehbare Gegenleistungen getätigt.
Auffällig ist vor allem das enge personelle und politische Umfeld der Agentur: Die frühere Chefin von Unanime ist mit einem Kommunikationsberater von Marine Le Pen liiert, was auf eine direkte Verbindung zum französischen Rassemblement National (RN) hinweist.
Auch die ebenfalls mit hohen Summen bedachte Pariser Digitalagentur e-Politic ist eng mit dem RN verknüpft; ihr Geschäftsführer war früher die Nummer zwei der Parteijugend des Front National. Beide Unternehmen reagierten auf Anfragen zu den Vorwürfen nicht. Die Recherchen deuten darauf hin, dass Unanime/Europacomm Teil eines Netzwerks von Dienstleistern ist, das gezielt von der ID-Fraktion und insbesondere vom französischen RN mit Aufträgen versorgt wurde. Die Leistungen waren laut Prüfbericht oft überteuert und nicht ausreichend dokumentiert – ein Muster, das auf systematische Begünstigung des eigenen politischen Umfelds schließen lässt.
Der Skandal wurde publik, als die Parlamentsverwaltung nach der Auflösung der ID-Fraktion im Juli 2024 deren Schlussabrechnung prüfte. Die Budgetkontrolleure stießen dabei auf zahlreiche mutmaßlich rechtswidrige Transaktionen. Niclas Herbst (CDU), Vorsitzender des Haushaltskontrollausschusses, sprach von „Betrug“ und kündigte eine Strafanzeige bei der Europäischen Staatsanwaltschaft sowie die Einschaltung der Antibetrugsbehörde OLAF an.
Die Affäre reiht sich ein in eine Serie von Finanzskandalen am rechten Rand des Europaparlaments. Im März 2025 wurde die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen wegen Veruntreuung von EU-Geldern zu vier Jahren Haft auf Bewährung und fünf Jahren Verlust des passiven Wahlrechts verurteilt. Sie soll, so die Ermittlungen der EU-Antibetrugsbehörde OLAF, drei Mitarbeiter zu Unrecht aus EU-Mitteln bezahlt und insgesamt mehr als 4,5 Millionen Euro Steuergelder in die Parteikasse umgeleitet haben.
Die ID-Fraktion, 2019 gegründet und bis 2024 aktiv, vereinte rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien wie den französischen Rassemblement National und die italienische Lega. Nach Skandalen um die AfD und deren Spitzenkandidaten Maximilian Krah wurde die deutsche Partei im Mai 2024 ausgeschlossen. Die Fraktion zerfiel kurz darauf.
Die Parlamentsverwaltung hat die Schlussabrechnung der ID-Fraktion noch nicht abgeschlossen. Es ist also möglich, dass der tatsächliche Schaden noch höher liegt.
Die Frage bleibt: Wie konnte eine Fraktion über Jahre hinweg Millionen aus der Parlamentskasse verschieben, ohne dass Kontrollmechanismen griffen?
Quellenverzeichnis:
ZEIT ONLINE: Wie Rechtsaußenpolitiker die Brüsseler Parlamentskasse plünderten
Europäische Kommission: Bilanz nach einem Jahr Europäische Staatsanwaltschaft
Handelsblatt: Rechtsextreme EU-Parlamentarier schließen AfD aus ihrer Fraktion aus
WDR: Was bedeutet das Le Pen-Urteil wegen Veruntreuung für Frankreich?
regionalHeute.de: EU-Haushaltskontrollausschuss will stärker gegen Betrug vorgehen
Glossar zum Finanzskandal der ID-Fraktion im Europaparlament
AfD (Alternative für Deutschland):
Rechtspopulistische Partei / laut Verfassungsschutzbericht gesichert rechtsextreme Partei aus Deutschland, die bis Mai 2024 Teil der ID-Fraktion im Europaparlament war.
Antiabtreibungsinitiative:
Organisation oder Verein, der sich gegen Schwangerschaftsabbrüche engagiert. Im Kontext des Skandals erhielt eine solche Initiative aus Hessen unzulässige Spenden aus Fraktionsmitteln.
Ausschreibung:
Formelles Verfahren, bei dem öffentliche Aufträge ausgeschrieben werden müssen, um Transparenz und Wettbewerb zu gewährleisten. Die ID-Fraktion umging dieses Verfahren mehrfach.
Europäische Staatsanwaltschaft (Eppo):
Unabhängige Behörde der Europäischen Union zur Bekämpfung von Straftaten zum Nachteil der EU-Finanzen. Sie ist für Ermittlungen bei Betrugsverdacht zuständig.
Europaparlament (EP):Das direkt gewählte Parlament der Europäischen Union mit Sitz in Brüssel und Straßburg. Es kontrolliert u. a. die Verwendung von EU-Haushaltsmitteln.
FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs):
Rechtspopulistische Partei aus Österreich, Teil der ID-Fraktion.
ID-Fraktion (Identität und Demokratie):
Fraktion im Europaparlament, gegründet 2019, aufgelöst 2024. Zusammenschluss rechter und rechtsextremer Parteien wie Lega (Italien), Rassemblement National (Frankreich) und AfD (Deutschland).
OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung):
EU-Behörde, die Betrugsfälle im Zusammenhang mit EU-Geldern untersucht.
Rassemblement National (RN):
Rechtspopulistische Partei aus Frankreich, ehemals Front National, geführt von Marine Le Pen. Zentrale Kraft in der ID-Fraktion.
Spende:
Geldzuwendung, meist an Vereine oder Initiativen. Im Skandal wurden Spenden aus EU-Mitteln an politisch nahestehende Organisationen vergeben.
Unanime/Europacomm:
Firma, die von der ID-Fraktion mit Aufträgen in Millionenhöhe bedacht wurde. Die Gegenleistungen waren laut Prüfbericht oft nicht nachvollziehbar.
Vergaberegeln:
Gesetzliche Vorschriften, die sicherstellen sollen, dass öffentliche Gelder transparent und wettbewerblich vergeben werden.
Veteranen der Fremdenlegion:
Ehemalige Soldaten der französischen Fremdenlegion. Eine entsprechende Initiative erhielt unzulässige Spenden aus Fraktionsmitteln.
aktualisiert 3.7.2025 - 09:08 Uhr