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"Fait accompli" - als Eskalationsstrategie - Gesichtserkennung und Chatkontrolle

Richard Krauss

19. Juni 2024

Innere Sicherheit vs. Grundrechte - Datenschutz, Gesetzgebung und die faktische Akzeptanz der vollendeten Tatsachen in Parlamenten.

In mindestens elf EU-Ländern nutzen Polizeibehörden bereits Gesichtserkennungssoftware, oft ohne klare gesetzliche Grundlage. Der Einsatz reicht von der Strafverfolgung bis zur Überwachung von Fußballstadien.


Die Systeme werden häufig als "Pilotprojekte" eingeführt und später um Genehmigung gebeten, was als "Strategie der vollendeten Tatsachen" bezeichnet wird.

Polizeibehörden in Deutschland und anderen EU-Ländern setzen Gesichtserkennungssysteme wie FaceVACS von Cognitec, NeoFace von NEC, VisionBox von Idemia, Gotham von Palantir und PerlS ein. Diese Systeme erkennen Gesichter in Echtzeit oder auf Bildern und Videos und gleichen sie mit Datenbanken ab. Dabei können sie auch Emotionen, Alter und Geschlecht analysieren.


Datenschützer kritisieren den Einsatz dieser Technologie wegen fehlender gesetzlicher Regelungen, möglicher Diskriminierung durch Fehlerquoten, Überwachung und Kontrolle des öffentlichen Raums, Missbrauchspotenzial und Verletzung der informationellen Selbstbestimmung.


Privatunternehmen wie PimEyes speichern und durchsuchen massenweise biometrische Daten von Bürgern in der EU oft ohne deren Zustimmung, was Datenschützer als Verstoß gegen die DSGVO sehen. Dies wird als Gefahr für Grundrechte wie Privatsphäre und Versammlungsfreiheit betrachtet.

Es fehlt an umfassender EU-Regulierung für den Einsatz von Gesichtserkennungssystemen. Die bestehenden Gesetze wie die DSGVO reichen oft nicht aus. Viele Experten fordern ein Verbot biometrischer Massenüberwachung, da sie unverhältnismäßig in Grundrechte eingreift.


Das Personen-Identifikations-System (PerIS), entwickelt von OptoPrecision, wird seit einigen Jahren von der Polizeidirektion Görlitz genutzt und erfasst Nummernschilder sowie Gesichtsbilder von Fahrern und Beifahrern. Die sächsische Polizei leistet damit Amtshilfe in anderen Bundesländern. Datenschützer bemängeln, dass keine Datenschutz-Folgenabschätzung vorliegt, obwohl dies EU-rechtlich vorgeschrieben ist. Die Nutzung der Technologie erfolgt auf Grundlage von Paragraf 98c der Strafprozessordnung, der aber laut Staatsrechtlern problematische Ermessensspielräume offen lässt.

Die CDU/CSU befürwortet den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware zur Kriminalitätsbekämpfung, erkennt jedoch die verfassungsrechtlichen Hürden an.


Der CDU-Politiker Thorsten Frei forderte 2023 den Einsatz bei schweren Straftaten und Terrorismus, betonte jedoch auch die Notwendigkeit der Klärung offener rechtlicher Fragen.


Die SPD zeigt sich ambivalent. Auf Bundesebene war die Partei zunächst ablehnend, öffnete sich aber jüngst für Kompromisslösungen. Auf Landesebene gibt es Befürworter, wie den rheinland-pfälzischen Innenminister Michael Ebling, der eine bundeseinheitliche Regelung fordert.


Die FDP lehnt die Nutzung von Gesichtserkennungssoftware strikt ab und sieht darin einen Einstieg in die totale Überwachung. Sie befürchtet eine massive Verletzung der Persönlichkeitsrechte und will den Einsatz biometrischer Verfahren im öffentlichen Raum verhindern.


Die Grünen lehnen flächendeckende und anlasslose Gesichtserkennung ab. Sie fordern strenge rechtliche Grenzen und eine richterliche Genehmigung für den Einsatz in Ausnahmefällen.


Die AfD befürwortet den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware für die Strafverfolgung als wertvolles Instrument zur Jagd auf Schwerverbrecher.


Die Linke hingegen lehnt anlasslose biometrische Überwachung strikt ab und kritisiert die Fehleranfälligkeit und Diskriminierungsgefahr der Systeme. Sie fordert eine strikte Regulierung und Begrenzung auf Einzelfälle.


Ein flächendeckender Einsatz von Gesichtserkennungssoftware im öffentlichen Raum wird als massiver Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre der Bürger angesehen. Verfassungsrechtler und die Rechtsprechung sehen dies kritisch und betonen, dass eine spezialgesetzliche Erlaubnisnorm erforderlich ist.



Exkurs: Eskalationstrategie "Strategie der vollendeten Tatsache -"fait accompli" "


Die Strategie der vollendeten Tatsache, auch als "fait accompli" bekannt, bezeichnet eine Taktik, bei der eine Partei eine Handlung durchführt oder eine Entscheidung trifft, ohne vorherige Zustimmung oder Konsultation der betroffenen Parteien, um damit eine neue Realität zu schaffen, die schwer rückgängig zu machen ist.


Diese Strategie wird oft in politischen, militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Kontexten angewendet, aber sie kann auch in persönlichen oder geschäftlichen Situationen vorkommen.


Sie stellt im Bereich der Inneren Sicherheit eine besonders prägnante Vorgehensweise dar, bei der durch rasche und entschlossene Handlungen Tatsachen geschaffen werden, bevor andere Akteure die Möglichkeit haben, zu intervenieren oder zu reagieren. Diese Methode erfordert schnelles und effektives Handeln, um eine neue Realität zu etablieren, die unwiderruflich ist und somit die Handlungsoptionen der beteiligten Parteien erheblich einschränkt.


Ein typisches Beispiel für die Anwendung dieser Strategie findet sich in der Terrorismusbekämpfung. Sicherheitsbehörden müssen bei der Identifizierung einer unmittelbaren Bedrohung schnell agieren, um geplante Anschläge zu vereiteln oder Verdächtige festzunehmen. Hierbei werden präventive Maßnahmen wie Razzien, Festnahmen und Beschlagnahmungen oft blitzartig durchgeführt, um den Tätern keine Gelegenheit zur Ausführung ihrer Pläne zu lassen.


Ebenso greifen Spezialeinheiten der Polizei in Geiselnahmesituationen schnell und entschlossen ein, um die Geiseln zu befreien und die Bedrohung zu neutralisieren, bevor die Täter ihre Drohungen wahrmachen können. Ein weiteres Beispiel ist die sofortige Implementierung neuer Sicherheitsmaßnahmen nach einem sicherheitsrelevanten Vorfall. Dies kann die Einführung verstärkter Überwachungsmaßnahmen, wie beispielsweise der Ausbau von Videoüberwachungssystemen oder die Erweiterung von Internetüberwachungsbefugnissen, umfassen.


Solche Maßnahmen werden häufig ohne vorherige öffentliche Diskussion eingeführt, um weiteren Bedrohungen vorzubeugen. Ebenso können Sicherheitszonen und Sperrgebiete rasch eingerichtet werden, wobei Zugangskontrollen verschärft und bestimmte öffentliche Bereiche abgesichert werden, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

Ein prägnantes Beispiel für diese Vorgehensweise ist die Verabschiedung des Patriot Act in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Dieses Gesetz, das umfassende Befugnisse zur Überwachung und Terrorismusbekämpfung schuf, wurde in einer Atmosphäre akuter Bedrohung schnell implementiert, ohne dass eine breite öffentliche Debatte stattfinden konnte.


Ähnlich verhielt es sich in Frankreich nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015, als die Regierung den Ausnahmezustand ausrief. Dies ermöglichte den Sicherheitsbehörden, weitreichende Maßnahmen wie Durchsuchungen und Festnahmen ohne richterlichen Beschluss durchzuführen.

Obwohl die Strategie der vollendeten Tatsache im Bereich der Inneren Sicherheit schnelle und effektive Reaktionen auf akute Bedrohungen ermöglicht, birgt sie auch erhebliche Risiken. Schnell eingeführte Maßnahmen können die Grundrechte und Freiheiten der Bürger einschränken und laufen Gefahr, ohne ausreichende rechtliche Kontrolle und öffentliche Diskussion implementiert zu werden.


Zudem besteht das Risiko, dass diese Strategie von Regierungen,Sicherheitsbehörden und Privatunternehmen missbraucht wird, um Macht zu konsolidieren oder politische Gegner zu unterdrücken, was das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen und die Rechtsstaatlichkeit untergraben könnte.

Diese Strategie, die darauf abzielt, Fakten zu schaffen, bevor andere Akteure reagieren können, birgt bedeutende Risiken und Auswirkungen auf verschiedene Bereiche, insbesondere die innere Sicherheit und demokratische Prinzipien.


Ein zentraler Punkt ist die Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit. Die FDGO stützt sich auf Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Die Umgehung des regulären rechtlichen und demokratischen Entscheidungsprozesses durch die Eskalationsstrategie könnte das Vertrauen in staatliche Institutionen untergraben und die Legitimität des politischen Systems insgesamt schwächen.


Es besteht die Gefahr, dass autoritäre Tendenzen gefördert werden. Im Bereich der inneren Sicherheit könnten die kurzfristigen Maßnahmen, die durch die Eskalationsstrategie legitimiert werden, langfristig negative Auswirkungen haben.

Nicht zuletzt könnten Maßnahmen, die im Rahmen dieser Strategie ergriffen werden, zu einer Einschränkung bürgerlicher Freiheiten führen.


Die Rechtfertigung solcher Einschränkungen durch die Notwendigkeit der inneren Sicherheit könnte Überwachungsmaßnahmen, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und eine verstärkte Präsenz von Sicherheitskräften umfassen, was individuelle Freiheiten beeinträchtigt.





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